Als es keine Brandmauer gab

geschrieben von Maxi Schneider

11. Juli 2023

Querfront: Überlegungen zu historischen Fehlern und drohenden Wiederholungen

Die sogenannte Querfront spukt durch die politische Debatte. Während der Corona-Pandemie und anlässlich des russischen Einmarsches in die Ukraine, fanden politische Gruppen und soziopolitische Milieus zusammen, von denen man mehr Abstand zueinander erwarten würde. Rufe wurden laut, die Kategorien »links« und »rechts« seien überholt.

Gleichzeitig ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch, während vonseiten der Ampelregierung an der Extremismusdoktrin festgehalten, die Gefahr des Linksextremismus betont und das Recht auf Asyl faktisch vollständig abgeschafft wird. Manche in der CDU wiederum versuchen, die AfD rechts zu überholen oder begeben sich auf kommunaler und Landesebene – trotz anderslautender Beteuerungen von der Bundesebene und interner Gegenstimmen – doch in den Bereich praktischer Zusammenarbeit mit Faschisten.

Teile der Friedensbewegung diskutieren angesichts der Zuspitzungen allgemeiner Aufrüstung und kriegerischer Auseinandersetzungen die Frage, wie breit die Friedensbewegung sein solle. Auch wenn der Vorwurf der Rechtsoffenheit als bloße Diffamierung zurückgewiesen wird, sind auch Positionen vertreten, die in der rechtsesoterischen Kleinpartei »dieBasis« einen möglichen Verbündeten sehen und das Einbeziehen der AfD nicht ausschließen möchten.

Angesichts dieser Gemengelage lohnt sich der Blick auf vergangene und heutige, auf tatsächliche und vermeintliche »Querfront«-Ambitionen. 90 Jahre nach der nazistischen Machtübernahme in Deutschland gilt es außerdem wieder einmal auszuleuchten, wer warum mit den Faschisten paktierte oder unfähig war, ihnen ausreichend Widerstand entgegenzusetzen. Auch wenn wir heute in einer halbwegs stabilen parlamentarischen Demokratie leben und sich platte historische Parallelisierungen verbieten, gilt: Wer sich die Frage, wie Faschisten aufzuhalten sind, erst stellt, wenn sie an der Macht sind, hat schon verloren.

Wie viel 1932 wird in 2024 stecken?

Die aktuelle Regierung mit der NS-Diktatur gleichzusetzen ist NS-Relativierung. Das Jahr 2023 hat mit 1933 und Folgendem nichts gemein. Weder die Corona-Maßnahmen noch der aktuelle Bellizismus der Bundesregierung rechtfertigen es, von »Faschismus« zu sprechen. Die faschistische Gefahr in Deutschland droht vonseiten einer AfD, die in Björn Höcke ihren nazistischen Führer gefunden hat. Wie alarmierend der Aufstieg dieser Partei ist, zeigen die Vergleiche mit den Wahlergebnissen der NSDAP in der Weimarer Republik: 1928 erreichte die Partei Hitlers schnöde 2,4 Prozent. 1930 gelang der Sprung auf relevante 13,8 Prozent und 1932 waren es dann unter den Bedingungen anhaltender Präsidialkabinette, die die Demokratie bereits nachhaltig ausgehöhlt hatten, erschlagende 37,4 Prozent. Ein temporärer Rückgang auf 33,1 Prozent im November 1932 fiel da nicht mehr ins Gewicht.1 Nur sechs Monate nach dem erdrutschartigen Erfolg im Juli 1932 war die NSDAP an der Macht.

Die Ankündigung Höckes, nächstes Jahr in Thüringen »33 + x Prozent« erreichen und »die Machtfrage stellen«2 zu wollen, muss als wohlgewählte Bezugnahme auf das NSDAP-Ergebnis von 1932 gewertet werden. Angesichts der Umfragewerte der AfD mit 23 Prozent in Brandenburg, 30 Prozent in Thüringen, 32 Prozent in Sachsen – in diesen Ländern finden 2024 Landtagswahlen statt – und bundesweit 19 Prozent3 ist jedes Alarmschlagen gerechtfertigt.

Die Illusion der Einhegung

Am 24. Mai 2023 brachte die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag den Vorschlag ein, den Tag des Grundgesetzes am 23. Mai zu einem nationalen Gedenktag zu erklären. Diesen Antrag verknüpfte sie– ungeachtet der Tatsache, dass das Grundgesetz 1949 von Antifaschist*innen, die die Verfolgung der Nazis überlebt hatten, erarbeitet wurde – mit der Forderung nach einem »Bundesprogramm Patriotismus« und der stärkeren Verbreitung nationaler Symbole, wie der Deutschlandfahne oder des Deutschland-Lieds. Nationalismuskritische Bildung wird als »undifferenziertes Kämpfen« gegen Nationalismus abgelehnt. Den früheren Bewohner*innen der DDR wird in dem Antrag pauschal unterstellt, sie hätten einen »zum Teil fehlenden Bezug zur eigenen Nation«, weshalb es einen »besonderen Einsatz für patriotische Fragen in Ostdeutschland« bräuchte. Was für eine doppelte Unverschämtheit, die zum einen westdeutsche Arroganz offenbart und zum anderen die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse ignoriert, die der AfD und Co. – nicht nur, aber eben auch – in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern eine in manch ländlicher Region fast schon hegemoniale Stellung bescheren. Mit den entsprechend lebensbedrohlichen Folgen für alle, die aus Sicht der Neonazis unerwünscht sind und ausgeschlossen, bedroht und angegriffen werden.

Betrachtet man die Rolle des deutschen Konservatismus bzw. der Deutschnationalen und Militaristen, die dem deutschen Faschismus in der Endphase der Weimarer Republik zur Macht verhalfen und Hitler ins Amt hoben, sind die Dammbrüche auf kommunaler Ebene, bei denen besonders CDU- und FDP-Politiker*innen mit der AfD zusammenarbeiten, erschreckend. Auch wenn die CDU/CSU von heute nicht die DNVP von damals ist, sollte angesichts des Verlaufs der deutschen Geschichte klar sein: Die Vorstellung, extrem rechte Kräfte im parlamentarischen Betrieb einhegen zu können, ist eine Illusion. Wer diese historische Lehre nicht anerkennt, setzt sich dem Verdacht aus, den neuerlichen Aufstieg der Faschisten in Deutschland nicht verhindern zu wollen.

Glaube an Recht und Ordnung

Die Teilung der organisierten Arbeiter*innenbewegung ging zurück auf das Einknicken der SPD in der Frage der Kriegskredite zu Beginn des Ersten Weltkriegs und hatte sich in der Weimarer Republik zu einer kaum zu überwindenden Unversöhnlichkeit zwischen KPD und SPD zugespitzt. Die Mehrheit der SPD-Funktionär*innen und Gewerkschafter*innen glaubte an Prinzipien von Recht und Ordnung. Sie hofften, dass es so schlimm schon nicht kommen werde. Oberste Priorität hatte die Aufrechterhaltung der Weimarer Republik und ihrer Errungenschaften.

KPD-Plakat aus dem Jahr 1932. Der Kampfbund gegen den Faschismus, Nachfolgeorganisation des Rotfrontkämpferbundes, gegen den personifizierten Kapitalismus mit seinen beiden Handlangern: NSDAP und die SPD-nahe Eiserne Front. Repro: Burkhard Sülzen, Berlin – www.plakatkontor.de

KPD-Plakat aus dem Jahr 1932. Der Kampfbund gegen den Faschismus, Nachfolgeorganisation des Rotfrontkämpferbundes, gegen den personifizierten Kapitalismus mit seinen beiden Handlangern: NSDAP und die SPD-nahe Eiserne Front. Repro: Burkhard Sülzen, Berlin – www.plakatkontor.de

Den Preis, den die SPD zur Durchsetzung der demokratischen Revolution 1918/19 zu zahlen bereit war, bestand in einem Bündnis mit der politischen Rechten gegen die im Laufe der 1920er-Jahre stärker werdende KPD. Sie verkannte die wahre Gefahr, die von konservativen und deutschnationalen Militärs, Unternehmern und anderen Eliten des untergegangenen Kaiserreichs ausging. Aus scheinbaren Sachzwängen heraus und aufgrund eigener ideologischer Scheuklappen war sie immer wieder bereit, sich mit Antidemokraten zusammenzutun, um die kommunistischen Bestrebungen, die das Weitertreiben der Revolution hin zu einer sozialistischen Gesellschaft zum Ziel hatten, zu verhindern. Trotz ihrer Gegnerschaft gegenüber der NSDAP war die KPD für die SPD nicht Bündnispartner, sondern ebenfalls Gegnerin der Weimarer Republik. So setzte sich 1932 die verhängnisvolle Einschätzung durch, man könne mit der Unterstützung des reaktionären Weltkriegsgenerals Paul von Hindenburg bei der Wahl zum Reichspräsidenten, eine Herrschaft Hitlers verhindern. Damit machte man erneut den Mann zum Staatsoberhaupt, der kein Jahr später die Macht an Hitler übergab.

KPD im Kampf gegen »Sozialfaschismus«

Die Abwehrhaltung der KPD wurzelte nicht allein in den gewaltvollen Erfahrungen, die Kommunist*innen in der Weimarer Republik mit SPD-geführten Regierungen machen mussten, sondern war auch ideologisch begründet.

1924 stellte der V. Weltkongress der Komintern Faschismus und Sozialdemokratie als »die beiden Seiten ein und desselben Werkzeuges der großkapitalistischen Diktatur« als gleichwertige Übel auf eine Stufe. Damit war die Sozialfaschismusthese in der Welt und wurde von der KPD-Führung in Deutschland übernommen. Die KPD war Ende der 1920er-Jahre eine zentralistische Kaderpartei, ausgerichtet an den Interessen der sowjetischen KPdSU. Die Ausschaltung parteiinterner dissidenter Strömungen hatte zur Folge, dass analytische Fehlschlüsse nicht korrigiert wurden. Andere Analysen des Faschismus, insbesondere von kleineren marxistischen Gruppen, wie der KPD-Abspaltung KPO (1929) oder der SPD-Abspaltung SAP (1931), wurden ignoriert. Aus Moskauer Sicht war der größte Konkurrent der KPD und Verhinderer revolutionärer Veränderung nicht die NSDAP, sondern die SPD. Anstatt antifaschistische Aktivitäten zu unterstützen, rügte die KPdSU von Moskau aus Versuche der KPD-Basis, sich mit SPD-Anhänger*innen gegen die Nazis zusammenzutun. Auch wenn die Kommunist*innen gegenüber der NSDAP unversöhnlich waren, galt ihnen die SPD als Hauptgegner, der zuerst bekämpft werden musste, um die proletarische Revolution zu verwirklichen.

»Fixiert auf den ›Sozialfaschismus‹ als Hauptfeind, gelang es nicht, den deutschen Nationalsozialismus in seiner einzigartigen Gefährlichkeit zu analysieren. Statt eine Auseinandersetzung mit dem nationalistischen, völkischen, rassistischen und antisemitischen Gehalt der nationalsozialistischen Ideologie zu führen sowie die antikapitalistische und zugleich antisozialistische Demagogie zu entlarven, stellte sich die KPD streckenweise als die konsequentere nationale Interessenvertretung dar.«4

SPD-Plakat aus dem Jahr 1932: Die drei Pfeile der Eisernen Front richten sich gegen Monarchie, Nazismus und Kommunismus.

SPD-Plakat aus dem Jahr 1932: Die drei Pfeile der Eisernen Front richten sich gegen Monarchie, Nazismus und Kommunismus.

Mit diesen treffenden Worten brachte der Historiker und Ehrenvorsitzende unserer Vereinigung, Hans Coppi, im Rahmen seiner Einordnung der KPD-nahen Zeitschrift Aufbruch, die Folgen dieser verhängnisvollen Strategie auf den Punkt.

Die Zeitschrift Aufbruch war Ausdruck des Versuchs der KPD, Faschisten, die mit ihrer Partei unzufrieden oder bereits ausgeschlossen waren, auf ihre Seite zu ziehen. Anstatt eine rote Linie zu ziehen, ließ man ehemalige Aktivisten der NSDAP, der Polizei und der Freikorps argumentieren, dass der nationalen Befreiung die soziale Befreiung vorausgehen müsse. Die Zeitschrift wurde verdeckt durch den Nachrichtendienst der KPD, dem Antimilitärischen Apparat unter Leitung von Hans Kippenberger, herausgegeben. Ziel war es, »ehrliche revolutionäre Kräfte aus dem Lager des Nationalismus« herauszulösen. Trotz einiger prominenter Überläufer blieben diese Versuche der »Zersetzung« nationaler und rechter Verbände weitgehend wirkungslos.

Als fehlgeleitet muss auch die »Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« vom 24. August 1930 bewertet werden. Dass die internationalistische KPD sich in dieser Weise äußerte, wurde erst vor dem Hintergrund der stalinschen Propagierung des »Sozialismus in einem Land« denkbar. Obwohl die Kommunist*innen den Ernst der faschistischen Gefahr erkannten und selbst ständigen Attacken vonseiten der Nazis ausgesetzt waren, wetterte die Parteiführung gegen den Versailler Vertrag und stellte in Aussicht, man werde »die Begeisterung der Massen zum Siege über die Bourgeoisie, zur sozialen und zugleich zur nationalen Befreiung des werktätigen deutschen Volkes entfachen«.

Machte KPD gemeinsame Sache mit NSDAP?

Von totalitarismustheoretischer Seite wird gerne behauptet, die Weimarer Republik sei zwischen ihren linken und rechten Gegnern zerrieben worden. In diese Deutung passt die Unterstellung, NSDAP und KPD hätten aktiv zusammengearbeitet, um die Demokratie zu zerstören. Die Empörung darüber scheint immer dann geheuchelt, wenn das Agieren anderer politischer Akteure jener Zeit, inklusive derer, die Hitler tatsächlich an die Macht gebracht haben, außer Acht gelassen wird. Dennoch: Es hat Kooperationen zwischen ganz links und ganz rechts gegeben und diese müssen als historische Fehler benannt werden. Als prominenteste Beispiele werden meist der Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtags 1931 und der Berliner BVG-Streik 1932 genannt.

Titelseite der Zeitschrift Aufbruch vom Juli 1931.

Titelseite der Zeitschrift Aufbruch vom Juli 1931.

Bei ersterem schloss sich die KPD einem Volksbegehren des Stahlhelms und der NSDAP an. Sie verschwieg die rechten Bündnispartner, etikettierte die Initiative zum »Roten Volksentscheid« um und wollte die Mobilisierungen nutzen, um auf die rechte Wählerschaft einzuwirken. Beim BVG-Streik war die Trittbrettfahrermentalität umgekehrt. Die NSDAP unterstützte den Streik in den Berliner Verkehrsbetrieben und wurde von der KPD-geführten Streikleitung einbezogen.

Prioritäten wurden falsch gesetzt und die Zusammenarbeit in Kauf genommen, weil man glaubte, damit eigene Ziele voranzubringen und bei der Anhängerschaft des gegnerischen Lagers zu punkten. Mindestens ebenso verhängnisvoll wie diese punktuellen Berührungen und wahltaktischen Manöver war die Anbiederung der KPD an nationale und antisemitische Einstellungen.

Die KPD war ein »jüdischer Emanzipationsraum«5 und verfolgte keine antisemitische Politik. Trotzdem hatten manche Politiker*innen, teilweise selbst jüdischer Herkunft und Ziel antisemitischer Attacken, die Vorstellung, man könne antisemitische Ressentiments antikapitalistisch wenden. Diese Illusion sorgte bereits während der Ruhrkrise 1923 für parteiinternen Streit und das nationalistische Experiment des sogenannten Schlageter-Kurses wurde nach wenigen Monaten beendet. 1930 waren die Kritiker*innen von damals aus der Partei ausgeschlossen und konnten nur noch von außen gegen die nationalistische Rhetorik protestieren.

Die KPD machte keine gemeinsame Sache mit der NSDAP, doch inhaltliche Äußerungen wie die »Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung« hatten einen hohen Preis. Der Stimmenfang bei den Völkischen bestärkte nationalistisch Gesinnte, wertete die extreme Rechte als Gesprächspartner auf und unterlief die internationalistische Haltung der KPD ebenso wie ihren Kampf für Frauenrechte und ihren antifaschistischen Grundkonsens.

Querfront von rechts: Nationalbolschewisten …

Während die KPD auf ihrem Führungsanspruch bestand und von Überläufern klare Bekenntnisse einforderte, gab es auf der äußersten Rechten Akteure, die dem, was wir heute als »Querfront« bezeichnen würden, am nächsten kommen: die Nationalbolschewisten.

Der Nationalbolschewismus entstand im Umfeld jener extrem rechten Strömung der Weimarer Zeit, die in falscher Abgrenzung zum Nationalsozialismus »Konservative Revolution« genannt wird. Er teilte deren völkische, nationalistische und reaktionär-autoritäre Überzeugungen. Trotz des irreführenden Begriffs war der Nationalbolschewismus nie ein linkes Projekt und hatte mit Bolschewismus im Sinne einer kommunistischen Strömung nichts zu tun. Er war elitär, antimarxistisch, antiwestlich, antiliberal, antidemokratisch und antihumanistisch. Trotz zum Teil widerstreitender Positionen teilten alle Nationalbolschewisten »eine rechtsextreme Einstellung, die als reinste und härteste Form des deutschen Nationalismus gelten kann«. Ihnen war »die Nation ›letzter und höchster Wert‹, war ›der Einzelne nichts und die Nation alles‹«6.

Nicht aufgrund des Versuchs, eine klassenlose und sozial gerechte Gesellschaft aufzubauen, galt Nationalbolschewisten wie Ernst Niekisch die Sowjetunion als Vorbild. Der Sozialismus interessierte sie nur als eine Form der Macht. Das stalinistische Russland interpretierten sie als antidemokratisches, antiwestliches Projekt, bewunderten die Opferbereitschaft der Bevölkerung und die Effizienz des Staatsapparats. Erklärter Hauptfeind war die SPD und ab 1930 auch das katholische Zentrum. Die NSDAP wurde wegen ihres prokapitalistischen und legalistischen Kurses abgelehnt und galt als Verschwendung der Kräfte des »revolutionären Nationalismus«.

Im Unterschied zu klassischen Vertretern der sogenannten konservativen Revolution waren die Nationalbolschewisten durch die Orientierung auf Klassenkampf und Revolution nicht abgeschreckt. Für sie stand der an internationalen Bewegungsgesetzen orientierte Kapitalismus dem Ziel einer »totalen« Revolution »allein um der Nation« willen entgegen. Das Bündnis mit dem bolschewistischen Russland und zum Teil auch mit den heimischen Kommunist*innen sah man als notwendige Etappe auf dem Weg zur »kulturellen und politischen Revolution«. Aufgrund des Primats der Politik vor der Wirtschaft war man bereit, ein kommunistisches Regime inklusive Enteignungen in Kauf zu nehmen. Tief im deutschen Idealismus verwurzelt waren die Nationalbolschewisten überzeugt, dass sich die »deutsche Substanz« und die »unbeugsame Kraft der Nationalen« letztlich durchsetzen würde. Man sehnte das »bolschewistische Chaos« in dem Glauben herbei, dass der »Kommunismus, ob er wollte oder nicht, nur in der deutschen Volksgemeinschaft aufgehen«7 könne.

… und ihre Erben

Zu Recht wehren sich friedenspolitische Akteure heute gegen den Vorwurf, sie würden eine Querfront bilden. Doch: »Querfront« ist kein bloßes Hirngespinst, um die Friedensbewegung zu diskreditieren. Es gibt tatsächlich rechte Wiedergänger nationalbolschewistischer Bestrebungen, die unter Verweis darauf, dass politische Kategorisierungen von »rechts« und »links« obsolet geworden seien, versuchen, zweifelhafte Bündnisse zu schmieden.

Der Querfront-Aktivist und frühere Führungsfigur der radikalen Linken Jürgen Elsässer, dessen Zeitschrift Compact nach eigenen Angaben monatlich 40.000 Leser*innen erreicht, nimmt für sich in Anspruch, eine Sprache zu sprechen, »die der Sozialist ebenso versteht wie der Nationale«. Seine prorussische Haltung begründet er damit, dass »erst die militärische Kapitulation an der Ostfront« die »Bedingungen für die Selbstbefreiung der Deutschen« schaffe. Innerhalb seines antisemitischen Weltbildes ist der »globalistische, vaterlandslose Geldadel« der Feind der Nation, den es zu bekämpfen gilt.8

Rechte Akteure von Sezession über PI-News bis zu Junge Freiheit und »Identitäre« teilen Elsässers Orientierung auf die Querfront. Besonders gehypt wird das 2023 erschienene, auffällig Braun-in-Braun gehaltene Büchlein »Querfront! Die letzte Chance der deutschen Demokratie«. Darin argumentiert der Compact- und Zuerst!-Autor Manfred Kleine-Hartlage – ebenfalls ein Ex-Linker –, das »herrschende Kartell« wolle mit einem »Great Reset« die gesellschaftlichen Verhältnisse umwerfen und habe einen »Krieg […] gegen das deutsche Volk entfesselt«9. Er wirft den Regierenden Verrat am Nationalstaat, am Leistungsprinzip, am Christentum und an den »Interessen des deutschen Volkes« vor. Die »oppositionelle Rechte«, der er sich zurechnet, könne nicht mehr staatstragend sein. Die Frontstellung zwischen links und rechts sei zwar vorhanden, aber »im Vergleich zur Frontstellung zwischen Kartell und Opposition sekundär«. Untergangsszenarien beschwörend, geht er wie seine historischen Vorgänger davon aus, dass der Querfront die »Macht als Ergebnis einer chaotischen Krisensituation« zufalle.

Sein Ziel ist, den Linken ihre Vorurteile gegenüber den Rechten zu nehmen. Das hält ihn jedoch nicht davon ab ein zutiefst reaktionäres, völkisch-rassistisches, antisemitisches, queerfeindliches und antifeministisches Weltbild auszubreiten. Seine scheinbaren Zugeständnisse an Linke entpuppen sich als Chimäre. Unter dem Deckmantel des Meinungspluralismus fordert er den Freibrief, sich menschenverachtend und diskriminierend äußern zu können. Die angeblich friedliche Außenpolitik erschöpft sich darin, nicht »in einem Vasallenstatus gegenüber dem imperialistischen Terror- und Schurkenstaat USA zu verharren«. Auch die Beschwörung von »Demokratie« ist rein demagogisch. Seine eigentlichen Bezugspunkte sind »Volk« und »Nation« als überzeitlich gedachte Kategorien. Sein Angebot an die Linke beinhaltet die Wahl, am nachrevolutionären Projekt im Rahmen einer Querfront zu völkischen und nationalistischen Bedingungen mitzuwirken, oder unterzugehen.

Wie für die historischen Nationalbolschewisten ist der Nationalstaat für ihn, die »höchste Ebene«, auf die er seine linken Bündnispartner ebenso verpflichten möchte wie auf die rassistische Abschottung nach außen. Das Volk, das sich im Nationalstaat verwirklichen soll, ist für ihn eine ethnisch homogene »Abstammungsgemeinschaft«, aus der alle »nicht Dazugehörigen« ausgeschlossen sind. Zuwanderung sei nur dann möglich, wenn die Hinzugekommenen »nicht nur genetisch, sondern auch kulturell« im Volk aufgehen würden.

Heutige Rechtsoffenheiten von links?

Demonstration des »Bündnisses für Frieden« in Berlin am 18. März 2023. In dem Zusammenschluss arbeiten verschiedene Querdenken-Gruppen, die »Handwerker für den Frieden« und »dieBasis« zusammen. Es sprachen der ehemalige AfD-Kandidat Karl Krökel und Laura von Wimmersperg für die Berliner Friko. Foto. Paul Hanewacker

Demonstration des »Bündnisses für Frieden« in Berlin am 18. März 2023. In dem Zusammenschluss arbeiten verschiedene Querdenken-Gruppen, die »Handwerker für den Frieden« und »dieBasis« zusammen. Es sprachen der ehemalige AfD-Kandidat Karl Krökel und Laura von Wimmersperg für die Berliner Friko. Foto. Paul Hanewacker

Umso besorgniserregender ist es, dass diese Querfront-Ambitionen vor dem Hintergrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine bei manchen der traditionell im linken Spektrum zu verortenden Akteure anschlussfähig zu sein scheinen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Jürgen Elässer bei einer Veranstaltung des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden im ND-Haus mit dem programmatischen Titel »Dialog mit Russland. Überparteilich für den Frieden« willkommen war?10 Die DKP-Zeitung Unsere Zeit stellte einen positiven Bericht darüber11 in der Druckversion vom 14. April auch noch neben einen Artikel, der die im extrem rechten Spektrum bestens vernetzten »Handwerker für den Frieden« als »Brückenbauer« lobte12. Nachdem ein Vertreter des DKP-nahen Vereins Marx-Engels-Stiftung beim Kassler Friedensratschlag im Dezember 2022 – bei dem im Übrigen flächendeckend Material der rechts-esoterischen Partei »dieBasis«13 ausgelegt werden konnte – angesichts der Atomkriegsgefahr nicht ausschließen mochte, selbst mit Mandatsträgern der AfD auf die Straße zu gehen,14 verstieg sich zuletzt ein Kommentator in der UZ unter dem Titel »Den Hauptfeind im Blick behalten«15 zu einer offenen Wiederauflage der Sozialfaschismusthese, die er im Wettern gegen »die Friedmans«, die ihm zufolge die »aktuell reaktionärste Variante des Kapitalismus« – respektive Faschismus? – durchsetzen würden, auch noch antisemitisch auflud. Breite Mobilisierungen gegen rechts, wie sie die VVN-BdA fordert, diffamiert er als Klüngeln mit den Kriegstreibern. Das heutige Erinnern an unseren Gründungskonsens, der besagt, dass in Sachen Antifaschismus Bündnisse notwendig sind, wird mit dem Missbrauch der Geschichte zur Rechtfertigung deutscher Kriegsbeteiligung in Jugoslawien 1999 gleichgesetzt.

Für die Querfront-Bestrebungen von rechts aktuell jedoch viel relevanter als die DKP wäre eine Wagenknecht-Partei, die – gesellschafts- und migrationspolitisch rechts, sozialpolitisch links – in der rechten Logik der ideale Partner wäre. Nicht umsonst richtet sich Manfred Kleine-Hartlage in seinem Pamphlet ganz direkt an »die linke Opposition um Wagenknecht«16. Die Einladung dazu kam nicht nur durch die Weigerung, extrem rechte Akteure von Demonstrationen auszuschließen, sondern auch durch die für heutige Linke untypische Bezugnahme auf das deutsche Volk, von dem Schaden abzuwenden sei, durch Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.17

Die Tür nach rechts bleibt zu!

Mit Nazis darf es keine Zweckbündnisse geben. Weder von linker noch von konservativer Seite.

Nationalbolschewistische und Querfront-Träume waren und sind genuin rechte Projekte. Selbst eine punktuelle, taktische Zusammenarbeit, bei der beide Seiten versuchen, den politischen Gegner zu instrumentalisieren, schadet grundsätzlich der politischen und gesellschaftlichen Linken und stärkt die Rechten. Nicht nur, weil emanzipatorische Anliegen dadurch unglaubwürdig werden (Gleichheitsverprechen vs. Ideologien der Ungleichheit), und noch mehr Menschen in die Arme der Rechten getrieben werden, sondern auch, weil das Lager der Nazigegner*innen durch die daran geknüpften Auseinandersetzungen erodiert.

Versuche, die Massenbasis der Faschisten zu umarmen, scheiterten damals und sie sind auch heute zum Scheitern verurteilt. Überzeugungsarbeit gegenüber Einzelnen macht nur Sinn mit Ungefestigten und im persönlichen Gespräch. Dafür haben wir mit den Stammtischkämpfer*innen-Seminaren, die genau in diesem persönlichen Nahbereich ansetzen, wirksame Instrumente. Auf der Straße, in den Parlamenten und auf der diskursiven Ebene hingegen hilft gegen Nazis nur die klare Kante. Es ist fatal, wenn es der völkischen Rechten gelingt, Themen und Begriffe – »Frieden«, »Freiheit« – so zu besetzen, dass sich Antifaschist*innen genötigt fühlen, darauf einzugehen. Die Debatte muss verweigert und die Rechten müssen ausgegrenzt werden.

NSDAP-Aufstieg nicht verhindert

Einer der Gründe, warum es Antifaschist*innen Anfang der 1930er-Jahre nicht gelang, den Aufstieg der NSDAP zu verhindern, war – neben der Unterschätzung der faschistischen Gefahr – ihre Spaltung. Relevante solidarische Bündnisse zwischen den linken Parteien gegen Revisionismus, Nationalismus und Faschismus wurden von beiden Seiten verunmöglicht. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Kritik an herrschenden Missständen – auch unversöhnlichen – muss weiterhin auf emanzipatorische Art und Weise, orientiert an humanistischen und universalistischen Prinzipien, formuliert werden. Ist man bereits zu schwach, eigene Inhalte zu setzen, stellen sich andere Fragen, auf die es nur eine Antwort geben kann: alle zusammen gegen den Faschismus. Das ist allein schon deshalb notwendig, um den Handlungsspielraum der politischen Linken zu bewahren – wofür auch immer sie diesen nutzen möchte.

Sozialdemokrat*innen und Grünen-Politiker*innen, die selbst zu den ersten Opfern eines neuerlichen Faschismus in Deutschland gehören würden, sollten aushalten können, dass es in der Frage darüber, welche Mittel man im Kampf gegen und im Selbstschutz vor Nazis für angemessen hält, unterschiedliche Auffassungen gibt. Auch eine Verengung des Demokratieverständnisses auf die gegenwärtige Form des Parlamentarismus steht breiten Bündnissen entgegen, wenn die unkritische Zustimmung zum Status quo zur Voraussetzung gemeinsamer Aktivitäten gegen rechts gemacht wird. Stattdessen wäre geboten: aktive Beteiligung an antifaschistischen Protesten, Wertschätzung und Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements und – insbesondere da, wo Regierungsverantwortung besteht – Verzicht auf Kriminalisierung und Behinderung antifaschistischer Aktivitäten.

Gerne wird unterstellt, Antifaschismus sei ein trojanisches Pferd, um im Sinne einer kommunistischen Agenda weitergehende Pläne zu verfolgen. Diese Diffamierung wird insbesondere vom Inlandsgeheimdienst erhoben und traf in der Vergangenheit bekanntermaßen auch die VVN-BdA. Antifaschismus als Wert an sich – unabhängig von sonstigen weltanschaulichen Anliegen und Zielen – kommt in dieser Logik nicht vor.

Der Glaube von konservativer Seite wiederum, den Nazis die Butter vom Brot nehmen zu können, indem man sich dem rechten Wahlvolk anbiedert, ist eine mindestens verhängnisvolle Illusion, die uns angesichts der Kräfteverhältnisse in diesem Land letztlich gefährlicher wird als die Irrungen und Wirrungen der »neuen« Friedensbewegung. Aus humanistischer und antifaschistischer Sicht ist daher völlig klar: Die Brandmauer gegen rechts muss – überall dort, wo sie eben nicht steht – ganz schnell hochgezogen werden. Am besten ohne Türen.

Diesen Beitrag ist hier in einer umfangreicheren Version als in der Printfassung zu finden

Die Autorin ist Historikerin und Referentin für Geschichts- und Erinnerungspolitik der Bundesvereinigung der VVN-BdA

Fußnoten:

1 https://www.bundestag.de/resource/blob/190456/f8d637d1039a06a614cff0264f8b5d10/reichstagswahlergebnisse-data.pdf

2 Thomas Willms: Sein Kampf. Björn Höckes nazistische Grundsatzrede vom 3. Oktober 2022 in Gera

3 [https://dawum.de/AfD/], Stand 21.6.2023

4 Hans Coppi: »Aufbruch« im Spannungsfeld von Nationalismus und Kommunismus – eine Zeitschrift für Grenzgänger, in: Aufbruch. Dokumentation zwischen den Fronten, hg. von Susanne Römer und Dems., Koblenz 2001, S. 15–60, S. 49

5 Ralf Hoffrogge: Der Sommer des Nationalbolschewismus? Die Stellung der KPD-Linken zu Ruhrkampf und ihre Kritik am »Schlageter-Kurs« von 1923, in: Sozial. Geschichte Online 20 (2017), S. 99–146

6 Louis Dupeux: Nationalbolschewismus in Deutschland 1919–1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985

7 Louis Dupeux: Nationalbolschewismus in Deutschland 1919–1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik. München 1985, S. 430

8 Compact-Editorial, 5/2023

9 Manfred Kleine-Hartlage: Querfront! Die letzte Chance der deutschen Demokratie. Berlin 2023

10 https://antifa.vvn-bda.de/2023/04/29/vorstoss-zur-querfront/

11 https://www.unsere-zeit.de/wart

en-wir-nicht-bis-es-wieder-zu-spaet-ist-4779026/

12 https://www.unsere-zeit.de/brueckenbauer-4779028/

13 https://www.boell-bw.de/de/2022/11/07/partei-diebasis-nicht-auf-der-basis-von-tatsachen

14 https://www.unsere-zeit.de/hunger-nach-austausch-4775341/

15 https://www.unsere-zeit.de/hauptfeind-im-blick-halten-4780926/

16 https://verlag-der-300.de/leseprobe-2/

17 https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden