Ekincan Genç von der DIDF Dortmund über den Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé

Wer wird der Nächste sein?

Am 8. August wurde der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé durch fünf Polizeikugeln nahe einer sozialen Einrichtung in der Dortmunder Nordstadt getötet (siehe UZ vom 19. August). Die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) betreibt im Viertel ein Zentrum. UZ sprach mit Ekincan Genç von der DIDF Dortmund.

UZ: Wie bewerten Sie den Einsatz nachdem, was bisher gesagt werden kann?

IMG 20220816 WA0006 n - Wer wird der Nächste sein? - Mord, Polizei, Racial Profiling, Repression - Blog

Ekincan Genç: Mouhamed war gerade erst ein 16 Jahre alter schwarzer Jugendlicher und noch gar nicht lange in der Nordstadt. Für uns ist bis heute nicht nachvollziehbar, wie elf bewaffnete und geschulte Polizeibeamte einen Jugendlichen mit einem Messer nicht überwältigen konnten und ihn mit einem Maschinengewehr erschossen haben. Für uns ist klar, dass dies ein Mord war und die Polizeibeamten sofort vor Gericht verurteilt werden müssen. Es ist enorm wichtig diesen rassistischen Mord nicht einfach so als ein Fehler oder als eine Einzeltat abzustempeln. Diese Morde zeigen, dass es ein systematisches rassistisches Problem innerhalb der Polizei gibt, auf das wir schon seit Jahren hinweisen. In derselben Woche wurden ein 23-jähriger Obdachloser am Frankfurter Bahnhof, ein 48-jähriger Mieter bei einer Hausräumung in Köln und eine Person im Krankenhaus in Recklinghausen von der Polizei umgebracht. Übrigens ermittelt bei dem Mord in Recklinghausen die Dortmunder Polizei und bei dem Mord an Mouhamed in Dortmund die Recklinghausener Polizei. Wir wissen auch aus vergangenen Fällen von Polizeimorden, dass die Polizeibehörden sich gegenseitig decken und fordern deshalb auch unabhängige Aufklärungen!

UZ: Ihr Verband, die DIDF in Dortmund, betreibt seit mehr als 40 Jahren politische Arbeit in der Nordstadt. Wie nehmen Sie nach dem Tod von Mouhamed Lamine Dramé die Stimmung im Stadtteil war, in dem viele Migrantinnen und Migranten sowie People of Colour leben? Bemerken Sie eine Veränderung?

Ekincan Genç: Die Menschen der Nordstadt sind natürlich total aufgewühlt und wütend. Schon immer fühlen sich die Leute hier wie Menschen zweiter Klasse und von der Politik ungehört. In der Nordstadt leben wir, die ökonomisch am schlechtesten gestellten und perspektivlos Zurückgelassenen. Als ob das nicht schon reicht, sind wir auch ständiger polizeilicher, medialer und politischer Schikane ausgesetzt. Der Frust über die eigene Lebenssituation, weil den Menschen immer weniger bleibt, steigt. Ebenso steigt die Wut, weil auf uns immer wieder herunter getreten wird. Überall hört man nur wie kriminell und heruntergekommen die Nordstadt sei. In der Zeitung liest man immer wieder über Kriminalität und Polizeieinsätze. Kameraüberwachung und ständige Polizeirazzien findet man in Dortmund nur in der Nordstadt. Die Würde der Menschen wird regelmäßig mit Füßen getreten. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von „Clankriminalität“ müssen wir uns regelmäßig Polizeikontrollen unterziehen. Ganze Straßen werden abgesperrt und jeder wird durchsucht, von der Handtasche bis zum Kofferraum. Und dann stellt sich der sehr verehrte Herr Innenminister von NRW, Herbert Reul, hin und spricht von einem erfolgreichen Einsatz. Das alles ist pures „racial profiling“ und gehört verurteilt und bekämpft.

UZ: Die Polizei in Dortmund und speziell die Wache Nord wird vielfach dafür kritisiert, in der Vergangenheit körperliche Übergriffe im Einsatz begangen zu haben. Können Sie das bestätigen oder kennen Sie solche Schilderungen?

Ekincan Genç: Von Übergriffen der Polizei in der Nordstadt hören wir immer öfter. Auch bei den Kundgebungen, bei denen es Open-Mics gab, meldeten sich unzählige Menschen, die von Polizeiübergriffen berichteten. Einer sagte: „Als sie ankamen, schlugen sie mich, im Polizeiwagen schlugen sie mich, auf der Wache schlugen sie mich und beim Freilassen schlugen sie mich wieder“. Erst vor kurzem gab es auch den Fall in einer Shisha-Bar in der Nordstadt, bei dem ein ranghoher Polizeibeamte während einer Razzia die schwangere Ladenbesitzerin gewürgt und geschlagen hat. Die Frau beklagt weiterhin, dass dies ein rassistischer Polizeieinsatz war. Die Anzeige wurde, wie so oft, vor Gericht fallen gelassen. Stattdessen läuft ein Verfahren gegen die Frau wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. So lange gewalttätige, rassistische Polizeibeamte von der Justiz und Politik immer wieder gedeckt werden und nichts befürchten müssen für ihre Taten, werden sich diese und ähnliche Verbrechen wiederholen.

UZ: In den vergangenen Tagen gab es mehrere Demonstrationen in Gedenken an den verstorbenen Jugendlichen, für Aufklärung und gegen Polizeigewalt. Haben Sie sich daran beteiligt und wird es weitere Protestaktionen geben?

Ekincan Genç: Wir waren bei den Kundgebungen, bei denen hunderte Menschen anwesend waren, dabei und haben mit aufgerufen. Uns und auch den Menschen in Dortmund ist bewusst, dass wir in so einer Zeit nicht tatenlos warten dürfen und schon gar nicht darauf hoffen können, dass sich bei den Ermittlungen der Polizei gegen die Polizei irgendwas ergibt. Wir wissen, dass es ein Mord war und wir fordern Gerechtigkeit für Mohammed und allen, die von der Polizei ermordet wurden. Unzählige Vereine, Organisationen und auch Menschen, die den Aufrufen gefolgt sind, kamen zusammen. Die nächsten Tage werden zeigen welche Aktionen noch folgen werden und ob es Zusammenschlüsse geben wird. Wir sind davon überzeugt, dass es diese braucht. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um der Ungerechtigkeit Einhalt zu gebieten.

UZ: Was muss sich ändern, damit derartige Polizeieinsätze nicht mehr passieren?

Ekincan Genç: Was wir dringend brauchen, sind unabhängige Beschwerdestellen bei Polizeiübergriffen, damit Anzeigen gegen die Polizei nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Die Statistiken zeigen ganz deutlich, dass Polizeigewalt meist nicht bestraft wird (2019: bei 4.200 Ermittlungsverfahren wurden nur 57 Strafverfahren eingeleitet). Die Grünen hatten vor den Wahlen angekündigt, dass sie das Polizeigesetz noch einmal unter die Lupe nehmen und prüfen werden, davon ist allerdings noch immer nichts zu hören. Zudem müssen die gesamten rechten Netzwerke und Chatgruppen, in denen Polizeibeamte und Bundeswehrsoldaten auch drin sind, konsequent aufgedeckt und bekämpft werden. Häufig bleibt es nur bei einer Suspendierung oder Verlegung. Das, was wir aber als am wichtigsten erachten, ist die Solidarität unter den Menschen. Wir müssen alle zusammenstehen gegen Polizeigewalt und Rassismus und das nicht nur in der Nordstadt. Diesmal hat es einen unschuldigen 16-jährigen Jugendlichen das Leben gekostet. Wer wird es das nächste Mal sein? Um es mit Brecht zu sagen: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit