AusstellungDifferdingens stählerne Vergangenheit: Hobbyhistoriker rettet 5.000 Fotos

Ausstellung / Differdingens stählerne Vergangenheit: Hobbyhistoriker rettet 5.000 Fotos
Fast 5.000 Fotos konnte der Hobbyhistoriker Yves Claude retten Foto: Sammlung Stadt Differdingen, Yves Claude

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Über lange Jahrzehnte hinweg legten sich rot-braune Rauchschwaden mit Erzstaub über Differdingen. Mehrstöckige Förderstrecken, eine Gaspipeline und die Eisenbahnbrücke versperrten den Sonnenstrahlen den Weg in die rue Emile Mark. Von den ehemaligen Anlagen, die das Landschaftsbild Differdingens eine gefühlte Ewigkeit prägten, ist heute nicht mehr viel zu sehen. Geblieben sind die Erinnerungen an gute und schlechte Zeiten, aber auch stumme Zeitzeugen in Form von Fotos, Diapositiven und Filmen.

Der Grafiker und Archivar Yves Claude
Der Grafiker und Archivar Yves Claude Foto: Yves Claude

Dem Grafiker und Archivar Yves Claude, seit 21 Jahren bei ArcelorMittal, ist es vor kurzem gelungen, einen erheblichen Bildbestand vor der endgültigen Vernichtung zu retten. Fast 5.000 Fotos hat der Hobbyhistoriker aus dem Direktionsgebäude der ehemaligen Hadir digitalisiert. 154 noch nie veröffentlichte Fotos sowie drei Filme sind noch bis zum 26. März im H2O in Oberkorn zu sehen.

Dem Kurator war es nicht nur wichtig, das Bildmaterial aus betriebsinternen Beständen zu konservieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Yves Claude war auch daran gelegen, das Wissen um historische Verarbeitungsprozesse zu dokumentieren und somit das immaterielle Erbe für die Nachfahren zu erhalten. Dazu befragte er pensionierte Ingenieure und Mitarbeiter der Schmelz über Technik und Wissenschaft.

Die Ausstellung liefert dem Besucher einen Eindruck über die Entwicklung der Eisenindustrie in Differdingen. Dabei stehen nicht nur technische Details im Mittelpunkt, sondern auch die Gestaltung des Stadtbildes an sich, also jenem Ort, wo viele Schmelzarbeiter wohnten.

Einblicke in die alte Hadir-Fabrik
Einblicke in die alte Hadir-Fabrik Foto: Sammlung Stadt Differdingen, Yves Claude

Vom Wirtschaftsboom bis hin zur Schließung

Die Exponate sind in vier Kapitel unterteilt. Im ersten Teil geht Yves Claude auf die Zeitspanne zwischen 1957 und 1975 ein. Diese Epoche ist einerseits durch einen Wirtschaftsboom gekennzeichnet, andererseits durch die Übernahme der Hadir durch die Gesellschaft Arbed im Jahr 1967. Das Wirtschaftswachstum lässt sich am Bildmaterial anhand des Ausbaus sehen, etwa dem Schaffen von neuen Straßen und Schienennetzen wie beispielsweise die Eisenbahnstrecke zwischen den Werken Belval und Differdingen.

Das zweite Kapitel hat viel Ähnlichkeit mit jener Periode, die wir aktuell durchleben. Ab 1973 fand das Wirtschaftswunder ein jähes Ende. Schuld war damals eine Öl- und Energiekrise aufgrund des Nahost-Konflikts. Die Energiepreise schossen in die Höhe. Autobauer, Baustoffproduzenten, die chemische Industrie sowie die Eisen- und Stahlhersteller meldeten überall Kurzarbeit an. Auch die Arbed-Werke in Differdingen blieben davon nicht verschont. Im Gegenteil: Innerhalb von nur wenigen Jahren entschied sich die Direktion zur schrittweisen Schließung von Werken und Produktionslinien. Hochöfen, Kokssilos, Erzhalden und Schweröltanks wurden demontiert. Der letzte Hochofen in Differdingen verschwand 1989. Die stahlverarbeitende Werke wie die Walzwerke verblieben vor Ort. Das benötigte Gas wurde ab 1979 durch eine Gasleitung vom Hochofen C aus Belval nach Differdingen befördert, teilweise quer durch die Wohnviertel, wie man anhand der Fotos deutlich erkennen kann.

Hoher Besuch am 17. Oktober 1960: Der König von Thailand, Bhumibol Adulyadej, und seine Gattin Sirikit Kitiyakara zu Besuch in Differdingen
Hoher Besuch am 17. Oktober 1960: Der König von Thailand, Bhumibol Adulyadej, und seine Gattin Sirikit Kitiyakara zu Besuch in Differdingen Foto: Sammlung Stadt Differdingen, Yves Claude

Abriss, Modernisierung und Urbanisierung

Der dritte Teil der Ausstellung beleuchtet das neue Zeitalter der Differdinger Werke. Einerseits ist diese Epoche durch die Sprengung der riesigen Hochöfen, Fabrikhallen, Kühltürme und Schornsteine geprägt und läutet somit ein neues Kapitel in Sachen Urbanisierung ein. 2014 wurde der Hadir-Turm abgerissen. Die alten Förderstrecken existieren schon lange nicht mehr.

Andererseits steht diese Zeitepoche für Modernisierung. Seit 1995 wird in Differdingen ein Elektrohochofen, im Fachjargon als Lichtbogenofen bezeichnet, betrieben. Statt Eisenerz wird im strombetriebenen Hochofen Schrott eingeschmolzen. 2002 fusionierte die Arbed mit dem spanischen Produzenten Aceralia und der französischen Usinor und wurde zu Arcelor. Letztere ihrerseits fusionierte 2007 ein weiteres Mal mit dem Stahlriesen Mittal und wurde zur ArcelorMittal-Gruppe.

Das ArcelorMittal-Werk in Differdingen ist heute ein moderner Standort, in den weiterhin investiert wird. 70 Millionen Euro sollen es bis 2025 sein. Differdingen soll weiterhin weltweiter Vorreiter in der Produktion der längsten und schwersten Träger sein, die unter anderem beim Bau von Wolkenkratzern verwendet werden.

Im vierten und letzten Teil dokumentieren etliche Bilder die Besuche von hohen Gästen aus dem In- und Ausland. Ergänzt wird die Ausstellung durch die Vorführung drei betriebsinterner Filme, die bisher noch nie an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Die Stahlindustrie verhalf Differdingen zu einem wahren Boom
Die Stahlindustrie verhalf Differdingen zu einem wahren Boom Foto: Sammlung Stadt Differdingen, Yves Claude

Infos zur Ausstellung

Bis zum 26. März in der Kunstgalerie H20 in Oberkorn
Öffnungszeiten: freitags, samstags und sonntags von 15 bis 19 Uhr oder nach Absprache (für Gruppenbesichtigungen oder Schulen)
Weitere Details: info@stadhaus.lu oder 58 77 11-900