Die ersten Corona-Patienten Deutschlands lagen in seiner Klinik. Der Münchner Arzt Clemens Wendtner hat die längste Erfahrung hierzulande, wie man Covid-19 behandelt. Anfangs wurden auch noch Leute eingeliefert, die durch die Infektion nur leicht kränklich waren. Jetzt, angesichts Tausender Infizierter in Bayern, sieht das ganz anders aus.

ZEIT ONLINE: Herr Wendtner, wie ist aktuell die Situation in Ihrer Klinik?

Clemens Wendtner: Die Dynamik in den vergangenen Tagen war wahnsinnig. Noch Ende vergangener Woche hätte ich Ihnen von 13 Patienten auf der Normalstation und sechs auf der Intensivstation berichtet. Jetzt haben wir schon knapp 50 Menschen hier mit Covid-19, neun davon auf der Intensivstation. Diejenigen mit leichteren Symptomen sind in häuslicher Quarantäne. Wir haben hier nur noch schwere Fälle.

Clemens Wendtner ist Chefarzt am Klinikum Schwabing in München. © München Klinik Schwabing

ZEIT ONLINE: Wo behandeln Sie die Menschen?

Wendtner: In der Notaufnahme haben wir ein Triage-Zelt aufgebaut, wo wir in Kürze Infizierte von Nichtinfizierten trennen. Wir werden diese Woche auch so etwas Ähnliches wie einen Wohnwagen mit mobilen Röntgen- und CT-Geräten vor dem Notaufnahmezelt aufstellen, damit die Covid-Patienten nicht die Geräte im Haus kontaminieren. Im Röntgen und im Computertomografen kann man sehr schnell sehen, ob jemand Lungenveränderungen hat, die typisch für eine Covid-19-Infektion sind – ohne erst zu warten, ob der PCR-Test positiv wird (Anm. der Red.: Das ist der Labortest, um zu prüfen, ob jemand wirklich das Coronavirus hat).

ZEIT ONLINE: Und wenn sie solche typischen Veränderungen sehen?

Wendtner: Dann kommen die Patienten auf die Covid-Station. Zusätzlich zu dieser Infektstation und der Intensivstation haben wir im Rahmen des Pandemieplans zwei Überlaufstationen aktiviert – für den Fall, dass die anderen voll sind. Gerade sind wir dabei, eine dritte zu öffnen. Die Beatmungsgeräte werden an vielen Stellen in der Klinik installiert, wir machen Normalstationen zu Beatmungsstationen. Und wir schulen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Crashkursen. Natürlich haben alle in ihrer Ausbildung einmal Intensivmedizin gemacht, aber bei vielen ist es eine Weile her. Das wird hier alles – im positiven Sinne – militärisch durchorganisiert und vorbereitet.

ZEIT ONLINE: Wie geht es den Patientinnen und Patienten, die zu Ihnen kommen?

Wendtner: Das kommt darauf an, wann sie kommen. Normalerweise kommen die Leute mit Fieber, das dann auch auf der Station nicht wirklich sinkt. Ihre Atmung wird schlechter, obwohl wir sie über eine Maske mit Sauerstoff versorgen. Dann haben wir die Möglichkeit, die Sauerstoffzufuhr zu erhöhen, auf bis zu zwölf Liter pro Minute. Üblich sind auf einer Normalstation zwei bis vier Liter. Wenn dann immer noch nicht genug Sauerstoff im Blut der Menschen ankommt, müssen wir intubieren und über die Maschine beatmen.

Die jungen Menschen sind nicht unverwundbar.
Clemens Wendtner

ZEIT ONLINE: Gibt es auch Erkrankte, die gleich auf die Intensivstation müssen?

Wendtner: Absolut. Wir müssen auch junge Menschen künstlich beatmen. Die sind in ihren Zwanzigern und Dreißigern und mussten nach wenigen Stunden in der Notaufnahme intubiert werden. Daher auch die Warnung: Die jungen Menschen sind nicht unverwundbar! Manche wiegen sich da in einer Sicherheit, die es nicht gibt.

ZEIT ONLINE: Sind da auch junge Leute ohne Vorerkrankung dabei?

Wendtner: Ja. Einige der jungen Patienten, die wir behandeln, waren in Ischgl oder St. Anton Skifahren. Ischgl scheint ein richtiger Umschlagplatz für das Virus gewesen zu sein. So viele Menschen auf engstem Raum beim Feiern, da infiziert man sich leicht – auch ohne Vorerkrankung. Und manche von ihnen sind eben schwer krank geworden. 

ZEIT ONLINE: Was sehen Sie bei diesen Patienten?

Wendtner:Bei vielen Patienten mit einer Covid-Pneumonie sind riesige Flächen der Lunge infiziert. Wir nennen das Milchglastrübungen. Diese Bereiche erscheinen auf dem Röntgenbild weißlich getrübt, wie Milchglas eben. Dort ist das Lungengewebe dichter als anderswo. Das ist ein Zeichen für eine Entzündung. So deutlich wie bei Covid-19 sieht man das bei klassischen bakteriellen Lungenentzündungen kaum. Da ist mal ein Lungensegment betroffen, aber nie die ganze Lunge. Das ist hier schon ein sehr wuchtiges Geschehen.