"Wir sind am Limit" – Seite 1

Nun werden auf den Intensivstationen erstmals mehr Patientinnen und Patienten wegen Covid-19 behandelt als noch im Frühjahr. Das zeigt das Intensivregister des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Seit April sind alle Krankenhäuser dazu verpflichtet, ihre Bettenbelegung dort einzutragen. Am Montag wurden demnach insgesamt 3.005 Menschen mit Covid-19 auf den Intensivstationen versorgt und damit mehr als am bisherigen Höhepunkt, dem 18. April. Damals wurden dem Intensivregister rund 2.900 Patienten gemeldet. Ob die Zahl in Wirklichkeit noch etwas höher lag, ist unklar, da Anfang April noch nicht alle Krankenhäuser ihre Fälle meldeten. Fest steht jedoch: Auch bei dieser traurigen Kennzahl ist mittlerweile das Niveau der ersten Welle erreicht, vielleicht sogar überschritten.

In den vergangenen Wochen ist die Zahl der Intensivpatienten rasant angestiegen. Zuletzt hat sie sich in den letzten zwölf Tagen ungefähr verdoppelt. Deutschlandweit sind aktuell rund zehn Prozent der Intensivbetten durch Patientinnen und Patienten mit Covid-19 belegt. Doch die deutschlandweite Zahl spiele nicht die zentrale Rolle, sagt Linus Grabenhenrich, der beim RKI das Fachgebiet für Informations- und Forschungsdatenmanagement leitet und das Intensivregister entwickelte: "Es ist der lokale Engpass, der Probleme machen kann." Vielerorts liegt die Auslastung der Intensivstationen deutlich höher als im Durchschnitt. Zum Beispiel in Cloppenburg, wo mittlerweile in 37 Prozent der Intensivbetten Covid-19-Patienten liegen. Oder in Berlin, wo es 21 Prozent sind.

"Im Worst-Case-Szenario könnte die Kapazität der Intensivbetten in einzelnen Regionen schon in ein bis zwei Wochen erreicht sein", sagt Grabenhenrich. Noch ist unklar, ob bis dahin die aktuellen bundesweiten Maßnahmen wirken. Sicher jedoch ist: In den nächsten Tagen wird die Zahl der neuen Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen weiter steigen. Das lässt sich aus der Entwicklung der Neuinfektionen ableiten. Hinzu kommt: Wer wegen Covid-19 auf der Intensivstation landet, der bleibt dort im Durchschnitt für zwei Wochen, manche sogar deutlich länger. Bis sich also ein Rückgang der Infektionen auch auf die Zahl der Intensivpatienten auswirken kann, wird es Wochen dauern.

Gerade deshalb ist es jetzt wichtig, gut zu koordinieren und besser zu planen. In besonders betroffenen Gebieten können Patientinnen und Patienten frühzeitig verlegt und nicht unbedingt notwendige Operationen verschoben werden. Im Notfall können außerdem lokal strengere Kontaktbeschränkungen eingeführt werden. Auch, wenn schon jetzt Pfleger und Ärztinnen fehlen, ist Grabenhenrich optimistisch, dass eine bundesweite, absolute Überlastung des Gesundheitssystems noch rechtzeitig abgewendet werden kann: "Im internationalen Vergleich, sogar im europäischen, sind wir in einer sehr soliden Ausgangslage. Das, was wir aktuell an freien Betten haben, das ist die Menge, die manche Länder relativ zur Einwohnerzahl insgesamt haben." Die Maßnahmen kamen daher wohl gerade noch rechtzeitig. Das berichten auch Chefärzte, Pflegekräfte und Oberärztinnen, mit denen ZEIT ONLINE gesprochen hat. Hier erzählen fünf von ihnen, wie die Lage auf ihren Stationen ist, was sie aus der ersten Welle gelernt haben und nun erwarten.

"Wir verlegen schon Patienten quer durch die Stadt"

Isabelle Lepp, 28, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Berlin

Isabelle Lepp ist Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Notaufnahme des St. Joseph Krankenhauses in Berlin-Tempelhof. © Jacobia Dahm für ZEIT ONLINE

Wir sind am Limit. Zu uns kommen Patienten mit Fieber, Schnupfen und Husten. Solche Symptome sind normal bei diesen Witterungsbedingungen, aber wir behandeln sie mit Schutzausrüstung, denn sie könnten ja auch an Corona erkrankt sein. Wenn wir über acht Stunden mit der Maske herumlaufen, ist das körperlich sehr belastend. Gestern habe ich ein infiziertes Ehepaar versorgt, deswegen war ich mit meiner Schutzkleidung doppelt so lange im Zimmer. Unter ihr ist es warm, mir lief der Schweiß herunter. Hinzu kommt, dass wir immer wieder Patienten und Angehörige darauf hinweisen müssen, dass sie ihre Maske ordnungsgemäß tragen sollen. Das muss ich zwanzig bis dreißig Mal während einem Dienst sagen. Außerdem versuchen wir es zu vermeiden, dass viele Menschen in der Notaufnahme sind. Leider verstehen das etliche Besucherinnen und Besucher nicht, denen gar nichts fehlt und die nur einen Angehörigen begleiten. Ich muss ständig mit ihnen diskutieren, warum sie nicht bleiben dürfen. Ich bin es leid, dass ich ständig auf die aktuelle Lage hinweisen muss. Die Aggressivität ist deutlich gestiegen.

Das Krankenhaus hat mehrere Eingänge. Neben dem Haupteingang gibt es zum Beispiel einen Zugang zum Kreißsaal oder zur Feuerwehrzufahrt. An jeder dieser Türen hängt ein großes Plakat mit: "Halt, stopp, hier geht es nicht weiter, wenn Sie Corona-Symptome haben." Das steht dort auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch, auch mit einer Erklärung, was dann zu tun ist. Doch manche Menschen ignorieren das einfach. Sie stehen in der Schlange mit anderen oder laufen infiziert durch die Haupthalle. Einige Patientinnen und Patienten verheimlichen sogar bewusst ihre Symptome und Risikokontakte vor uns, was mich richtig wütend macht.

"Wenn die Patientinnen und Patienten nicht ehrlich sind, haben wir keine Chance, uns zu schützen."
Isabelle Lepp, 28, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Berlin

Zum Beispiel kam mal eine Mutter mit zwei Kindern, eines davon hatte nach dem Fußballspielen leichte Schmerzen. Aber eigentlich hätten alle drei in Quarantäne sein müssen. Das kam heraus, weil die Mutter gefragt hat, ob ihr Kind schneller behandelt werden könnte, denn sie befürchte Ärger vom Gesundheitsamt, wenn sie zu lange unterwegs sei. Eine andere Frau hatte sich den kleinen Finger umgeknickt und wartete mehrere Stunden mit anderen Patientinnen und Patienten. Als sie dann an der Reihe war, erzählte sie einer Kollegin und mir, dass sie einen Risikokontakt hatte und sich das Gesundheitsamt bei ihr gemeldet hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob das Böswilligkeit ist, aber wenn die Patientinnen und Patienten nicht ehrlich sind, dann haben wir vom Krankenhauspersonal keine Chance, uns zu schützen.

"Die Notaufnahme platzt aus allen Nähten"

Ich mag meinen Job, generell arbeite ich gerne. Gerade bin ich im Dienst, obwohl ich eigentlich Urlaub habe. Ich bin eingesprungen, weil sich acht Kolleginnen und Kollegen krankgemeldet haben, einen Kollegen haben wir an ein anderes Krankenhaus "ausgeliehen", spontan übernahm ich die Frühschicht. Das ist auch nicht so schlimm, bevor ich zu Hause sitze, gehe ich lieber arbeiten. Meine Kolleginnen und Kollegen haben teilweise sieben, acht, neun, bis zu zehn Dienste hintereinander. Das ist schon an normalen Tagen sehr fordernd, ohne Corona. Da müssen wir zusammenstehen.

Im Frühjahr hatten wir weniger Patienten als sonst, weil sich viele nicht getraut haben, zu uns zu kommen. Im Sommer hatten wir unsere normalen Fallzahlen. Ich würde sogar behaupten, dass es teilweise mehr als sonst waren. Wir haben auch eine Kinderklinik, wo in der Regel während den Sommerferien ziemlich wenig los ist. Jetzt, mit dem schlechteren Wetter, platzt die Notaufnahme aus allen Nähten. Wir hatten schon immer räumliche Probleme und gerade wollen wir möglichst alle potenziell infektiösen Patientinnen und Patienten in den Zimmern isolieren. Das bedeutet, dass auch mal Untersuchungen und Behandlungen auf dem Flur stattfinden, damit es überhaupt vorwärts geht.

Auch in meiner Freizeit lässt mich das Thema nicht los. Ich merke, dass ich angespannt bin und nicht abschalten kann. Extra Geld wegen der zusätzlichen Belastung durch Corona habe ich nicht bekommen, weder von der Regierung noch von meinem Arbeitgeber. Über ein bisschen mehr Wertschätzung würde ich mich schon freuen. Aber noch viel mehr wünsche ich mir, dass die Menschen ihre Maske tragen, dass sie vorsichtig sind und sich verantwortungsvoll verhalten. Wir verlegen aktuell schon Patienten quer durch die Stadt in andere Kliniken, um dort die Kapazitäten zu nutzen, wo sie noch vorhanden sind. Irgendwann wird das nicht mehr möglich sein.

"Es ist ernster als im Frühjahr"

Henning Niebuhr, 64, Chefarzt, Hamburg

Henning Niebuhr ist selbstständiger Chefarzt und Chirurg an mehreren Kliniken in Hamburg. © Lucas Wahl für ZEIT ONLINE

Es ist ernster als im Frühjahr, die Zahlen steigen rapide an, es trifft uns härter und schneller als gedacht. Trotzdem: Wir haben uns vorbereitet und sind deshalb entspannter als im März. Wir haben Plexiglaswände aufgestellt und das Personal in der Praxis in zwei Arbeitsgruppen eingeteilt, damit eine Hälfte des Personals noch arbeiten kann, sollte es einen positiven Fall geben. Außerdem haben wir Videosprechstunden eingeführt, damit wir Patienten, die nicht in die Praxis oder ins Krankenhaus zur Visite kommen wollen, trotzdem betreuen können. Es ist erstaunlich, wie gut man mittlerweile nach einer Operation die Wundverhältnisse per Video beurteilen kann. 

Wir haben in der Praxis und auch im Krankenhaus in der Bauchwand- und Hernienchirurgie natürlich eher weniger mit Covid-Fällen zu tun. Im Frühjahr sind die planbaren Operationen, zu denen auch unsere zählen, abgesagt worden. Das könnte jetzt eventuell wieder der Fall sein. Gerade die Wintermonate sind für diese Eingriffe traditionell stark gebucht. Uns könnte also noch einmal ein wichtiger Monat wegbrechen. Aber es dürfte eher eine finanzielle Delle als ein wirklich bedrohlicher Engpass werden. 

"Die Zahlen steigen sprunghaft an und jetzt kommen die üblichen Winterkrankheiten dazu."
Henning Niebuhr, 64, Chefarzt, Hamburg

Ich finde die Maßnahmen der Bundesregierung für den November in Ordnung. Selbstverständlich kann man kritisieren, dass nun etwa Museen schließen müssen und Shoppingzentren geöffnet bleiben, aber die Politik muss einen Konsens finden – und das hat sie mit Augenmaß getan. Die Zahlen steigen sprunghaft an und jetzt kommen die üblichen Winterkrankheiten dazu, das heißt, die Belastung für Ärzte und Pfleger wird stärker sein.

Das eigentliche Problem, das weiter fortbesteht, ist die Unterbesetzung in der Pflege. Intensivpfleger ist ein hochspezialisierter, anstrengender Beruf und dafür unterbezahlt. Aber das ist ja schon lange ein Politikum: Höhere Kosten bedeuten höhere Steuern. Und da schauen Politiker und Bevölkerung gerne weg. Dabei ist das Problem jetzt sichtbarer denn je. Wir müssen uns auf Dauer fragen, was uns die Pflege eigentlich wert ist.

"Es erschreckt mich, wie wenig ernst viele Menschen Corona nehmen"

"Was mich ärgert, ist die mangelnde Wertschätzung"

Canan Emcan, 32, Stationsleiterin Infektiologie, Essen

Canan Emcan leitet die Station der Infektiologie am Universitätsklinikum in Essen. © Marcus Simaitis für ZEIT ONLINE

Die Motivation auf unserer Station ist weiterhin sehr hoch. Unsere Teams sind super flexibel. Wenn in einem Team jemand ausfällt, springen andere ein. Im Vergleich zum Frühjahr sind wir sehr gut eingespielt: Wir kennen die Schutzkleidung, wir wissen, wie man Betten verlegt, ohne Risiken einzugehen, und die Hygienerichtlinien ändern sich nicht mehr täglich – das erleichtert die Arbeit. Natürlich kommen jetzt im Winter noch andere Infektionskrankheiten wie die Grippe dazu, aber auch das werden wir schaffen. Wir haben schon jetzt unser Team von zwei auf drei Pflegende pro Schicht erhöht und bekommen Unterstützung von Hilfskräften. Damit kommen wir gut hin.

Was mich ärgert, ist die mangelnde Wertschätzung von außen. Eigentlich sollten Pflegefachpersonen, die Covid-19-Patienten behandeln, eine Sonderzahlung von bis zu 1.000 Euro erhalten. Aber ich habe bisher keinen Corona-Bonus erhalten. Das ist enttäuschend, nachdem im Frühjahr so viel darüber geredet wurde. Natürlich fühle ich mich nicht genug wertgeschätzt. Unsere Arbeit ist jetzt genauso wichtig wie vor der Krise.

"Heute klatscht keiner mehr. Im Gegenteil: Von den Angehörigen werden wir am Telefon teilweise angeschrien."
Canan Emcan, 32, Stationsleiterin Infektiologie, Essen

In der Bevölkerung geht die Anerkennung, die wir im Frühjahr gespürt haben, auch stark zurück. Heute klatscht keiner mehr. Im Gegenteil: Von den Angehörigen werden wir am Telefon teilweise beleidigt und angeschrien. Diese haben kein Verständnis für das generelle Besuchsverbot, das bei uns gilt. Die Kolleginnen und Kollegen melden mir das oft. Ich versuche dann zu vermitteln, wenn auch das nicht hilft, unterstützen uns die Oberärztinnen und Oberärzte. Wir versuchen klarzumachen, dass wir uns und die Patientinnen und Patienten dadurch schützen.

Den Lockdown halte ich für absolut richtig. Ich glaube, die Leute brauchen das, um mal runterzukommen. Es erschreckt mich zu sehen, wie wenig ernst viele das nehmen. Als Krankenpflegerin muss ich besonders aufpassen, damit ich die Patientinnen und Patienten nicht anstecke. Ich war in den letzten Monaten nur zu Hause und bin mit dem Auto zur Arbeit gefahren, um den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Meine Familie besuche ich einmal in der Woche, aber umarmt habe ich sie schon seit März nicht mehr. Das fällt mir auch schwer. Aber es muss sein: für die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten und für meine Eltern.

"Wir verstehen die Erkrankung nun deutlich besser"

Jan Ulrich, 33, Oberarzt, Hamburg

Jan Ulrich ist Oberarzt für Innere Medizin an der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg. © Lucas Wahl für ZEIT ONLINE

Die zweite Welle ist da – und im Vergleich zu Ostern sehen wir mehr positive Fälle. Allerdings testen wir auch mehr. Die Menschen sind müde geworden und halten sich nicht mehr so streng an die Regeln. Anders als beim ersten Mal waren es zunächst mehr junge Leute, die sich mit dem Virus angesteckt haben. Menschen, die aus dem Urlaub zurückkommen oder sich auf Privatfeiern anstecken. Ein junger Mensch steht die Viruserkrankung, bis auf einige traurige Einzelfälle, meist gut durch. Doch jetzt sehen wir wieder vermehrt ältere Patienten, die zu kämpfen haben. Wir haben aus der ersten Infektionswelle als Betrieb gelernt: Unsere Abläufe sind optimiert, wir verstehen die Erkrankung nun deutlich besser und wir haben ausreichend Schutzausrüstung. Dabei arbeiten wir Internisten sehr eng mit unseren Kollegen aus der Intensivmedizin zusammen.

Weil sich die Corona-Fälle bei uns wieder stark häufen, haben wir erneut eine ganze Station für diese Patienten eingerichtet, denn nur so können wir sie von den Patienten auf anderen Stationen abschirmen. Mindestens einmal wöchentlich findet eine Krisensitzung statt, mit der wir die Lage analysieren und uns auf Veränderungen sehr genau einstellen. Ich glaube, wir sind gut vorbereitet. Natürlich gibt es weiterhin einen Pflegekräftemangel. Es war zu erwarten, dass wir in der kurzen Zeit keine neuen Pfleger und Pflegerinnen bis zum Winter bekommen. Die Betreuung gerade von hochinfektiösen Patienten benötigt ein hohes Maß an Ausbildung und Erfahrung. Eine Verbreitung des Virus über das Personal darf nicht passieren. Soweit es die Situation zulässt, wird daher auf unerfahrene Hilfskräfte auf der Isolierstation verzichtet. Medizinstudierende leisten dafür einen tollen Beitrag in den Testzentren und unterstützen die Gesundheitsämter in der aufwendigen Kontaktverfolgung.

"Existenzangst muss auch ernst genommen werden."
Jan Ulrich, 33, Oberarzt, Hamburg

Ich glaube unsere Krankenhäuser stehen einigermaßen gut da. Die Bettenpauschale und andere Hilfen vom Bund haben wirklich etwas bewirkt. Es ist natürlich wirtschaftlich trotzdem ein schlechtes Jahr. Bei den Maßnahmen, die jetzt beschlossen werden, muss man abwarten, was wirklich hilft. Dass Massenveranstaltungen derzeit nicht stattfinden dürfen, sollte allen klar sein. Ich persönlich finde es aber schwierig, auch Restaurants und Cafés wieder zu schließen – die Gastronomen haben sich wirklich sehr bemüht, die vorgeschriebenen Hygienekonzepte umzusetzen. Ein Effekt könnte eine Verlagerung der Ansteckungen noch mehr ins Private sein. Wir brauchen einen Mittelweg zwischen medizinisch notwendigen Maßnahmen und einem Handlungsspielraum für unternehmerische Aktivität. Existenzangst muss auch ernst genommen werden.

"Unsere Arbeit bekommt noch immer nicht die nötige Anerkennung"

"Die Situation der Mitarbeiter hat sich seit der ersten Welle nicht verbessert"

Christina Behncke, 31, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Wiesbaden

Christina Behncke ist Gesundheits- und Krankenpflegerin am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. © Lêmrich für ZEIT ONLINE

Patienten, die mit dem Coronavirus infiziert sind, benötigen enge Betreuung, der Arbeitsaufwand ist hoch. Die Behandlungsräume müssen aufwendig vorbereitet werden, außer Monitoren, dem Bett und Müllbeuteln bleibt nichts zurück. Und nachdem wir bei den Patienten waren, müssen wir alles, was wir wieder mit aus dem Zimmer nehmen, desinfizieren, auch große EKG-Geräte zum Beispiel. Man könnte meinen, es sei viel gelernt worden im vergangenen halben Jahr. Doch seit im Oktober bei uns deutlich mehr los ist, wird klar, dass sich die Situation für uns Mitarbeiter der Krankenhäuser seit der ersten Welle im März und April nicht großartig verbessert hat. Klar, wir haben mehr Routine in der Behandlung, das schon. Aber die Abläufe bei mit Corona infizierten Patienten sind noch immer zeitlich aufwendig: Schon allein die ganze Schutzkleidung an- und auszuziehen, dauert. Das kommt wegen der vielen Covid-19-Patienten mehrere Male am Tag vor. Wegen solcher Hygienemaßnahen fühle ich mich sehr gut geschützt, Angst vor einer Ansteckung habe ich nicht.

"Ich habe noch nicht einmal den versprochenen Corona-Bonus auf meinem Konto."
Christina Behncke, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Wiesbaden

Wir haben wegen der vielen Corona-Patienten in unserer Notaufnahme kaum mehr Isolationsmöglichkeiten, es gibt einfach zu wenige Räume, die entsprechend umgebaut sind. Daran arbeitet das Krankenhaus aber jetzt. Dazu beginnt gerade die Erkältungs- und Influenza-Saison. Das bedeutet auf der einen Seite, dass noch einmal mehr Patientinnen und Patienten zu uns kommen werden, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen – und auf der anderen, dass es für uns noch einmal schwerer ist, zu unterscheiden, woran der Mensch erkrankt ist. Die Symptome ähneln sich sehr. Wenn jemand zu uns mit entsprechenden Symptomen kommt, müssen wir ihn sofort isolieren. Von jedem dieser Patienten wird dann ein Abstrich genommen und auf Corona und Influenza getestet. Erst dann wissen wir, wie wir weiter vorgehen. Hinzu kommt, dass wir darunter leiden, dass wir zu wenig Personal haben. Das ist aber nicht erst seit Corona so. Eine Pflegefachkraft muss sich um mehrere Patienten kümmern, da bleibt oft weniger Zeit, als wir gerne hätten.

Unsere Arbeit bekommt in der Pandemie noch immer nicht die nötige Anerkennung, die sie verdient. Es gibt natürlich die Patienten, die einem im Vorbeigehen mal ermutigende Sätze wie "Tolle Arbeit in dieser schwierigen Zeit" zurufen. Aber die Aufmerksamkeit, die im Frühling auf uns lag, hat schnell wieder abgenommen. Im April spendeten Restaurants, Firmen oder Privatleute noch an uns. Mittag- oder Abendessen zum Beispiel. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass wir eine Kaffeemaschine bekommen haben. Solche Gesten haben mich sehr gefreut. Und jetzt? Ich habe noch nicht einmal den von der Regierung versprochenen Corona-Bonus auf meinem Konto.