Amberg
02.04.2024 - 13:22 Uhr
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Die Aura ist der Spiegel zur Seele: Ein Besuch bei einer Wahrsagerin

Studentin Johanna Siegl hat sich von einer Amberger Wahrsagerin die Zukunft vorhersagen lassen. Sie möchte einige der Vorhersagen gerne glauben. Doch ein Experte von der GWUP sieht ihre Erlebnisse kritisch. Was ist also dran an Wahrsagerei?

Bevor die Hellseherin mit ihrer Vorhersage beginnt, greift sie nach den Händen von Studentin Johanna Siegl. So könne sie ihre Aura lesen. "Ich sehe, ob die Aura gut ist, schlecht ist oder sogar Löcher hat", erklärt Annatala Natalia Geiger. Die 75-Jährige startet mit der Frage nach Johannas Alter. Die Studentin ist 22. Daraus schließt Geiger, dass Johanna nicht verheiratet und kinderlos ist. Korrekt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahrsagerin mit ihrer Aussage richtig liegt, ist hoch. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts sind in Deutschland nur gut ein Prozent der Frauen unter 25 Jahren verheiratet.

Geiger, die in Amberg lebt, fragt weiter nach Johannas Hobbys und ihrem Geburtstag. Auf die Frage, was Johanna in der Zukunft erwartet, antwortet die Hellseherin: "Beruflich hat sie viele Ideen, viele Pläne, die sie verwirklichen will, und in der Liebe bewegt sich was." Eine Vorhersage, die Johanna gerne glauben möchte. Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) sieht diese etwas anders. "Einer jungen attraktiven Dame vorherzusagen, dass sich in der Liebe einiges tun wird, ist sicher keine hellseherische Meisterleistung", sagt der 57-Jährige, der sich seit Jahren mit den psychologischen und rechtlichen Grundlagen der Wahrsagerei befasst. Hellseher würden sich an der Person orientieren, die ihnen gegenübersitzt. "Das ist eine Mischung aus Menschenkenntnis, Schmeicheleien und Wahrscheinlichkeiten."

Korrigieren der Vorhersagen

Für die nahe Zukunft sieht die Wahrsagerin eine Reise. "Wo wollen Sie hin?", fragt Geiger. Johanna stottert verdutzt: "Eine Reise?" Eine große Reise steht nämlich erst einmal nicht an. Lediglich für die Uni ist die Studentin in nächster Zeit unterwegs. "Aber so kleine Reisen sehe ich", korrigiert Geiger ihre Aussage prompt. Eine Praxis, die der Experte von der GWUP als gängig bei Wahrsagern einordnet: "Das zeigt meiner Meinung nach deutlich, dass das nichts mit übersinnlichen Fähigkeiten zu tun hat."

Die Hellseherin geht noch einmal auf Johannas Aura ein: "Ihre Aura ist jetzt ein bisschen stärker lila geworden, unten bildet sich Weiß und hier ist Himbeere. Das ist die Vorstufe zu Liebe, weil bei der Liebe ist die Aura rosa. Die Liebe ist nicht weit weg, wenn Himbeere da ist." Die Aura sei laut Harder eines von zahllosen Hilfsmitteln. So auch Sterne, Handlinien und Kaffeesatz. "Das ist nur Show und dient dazu, den Klienten zu beeindrucken. In der Aura, die es gar nicht gibt, sehen diese Leute genauso wenig, wie im Kaffeesatz, in den Sternen oder sonst was", ergänzt das GWUP-Mitglied.

"Unmögliche Leistung"

Tatsächlich gilt Wahrsagerei in Deutschland seit einem Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) von 2011 rechtlich als sogenannte "unmögliche Leistung". Wahrsager können für ihre Dienste trotzdem Geld verlangen. Nämlich dann, wenn es einen Vertrag gibt. In dem Urteil heißt es, dass ein Kunde für übersinnliche Leistungen bezahlen muss, wenn er sich seines irrationalen Verhaltens bewusst ist. Die Verträge können nach Ansicht des BGH jedoch nichtig sein, wenn sie mit Klienten in schwierigen Lebenssituationen oder psychisch labilen Menschen geschlossen werden.

Als Johanna die Wahrsagerin damit konfrontiert, fragt diese: "Wie meinen Sie das?" Nach Erklärungen verweist sie auf eine amerikanische Studie, in der wissenschaftlich nachgewiesen worden sein soll, dass manche Menschen beispielsweise in die Zukunft blicken können. Tatsächlich gibt es von dem amerikanischen Psychologen Daryl J. Bem eine Studie mit dem Titel "Feeling the future". Allerdings steht sie wegen ihres Aufbaus in der Kritik. Im Vorfeld sei das Forschungsziel nicht klar definiert gewesen, und die Ergebnisse seien statistisch nicht signifikant, heißt es von Experten in einem Artikel der "Welt". Harder würde sich wünschen, dass Wahrsager mehr Transparenz zu den Hintergründen ihrer Leistungen schaffen: "Das Verwerfliche ist, dass diese Leute behaupten, sie hätten übersinnliche Fähigkeiten." Dadurch entstünde ein Art Machtgefälle. Harder ergänzt: "Wenn diese Menschen sagen würden: ‚Ich bin Lebensberater oder Gesprächspartner und verlange dafür 100 Euro in der Stunde‘, fände ich das deutlich besser."

Keine psychologische Ausbildung

Denn der Experte sieht in Wahrsagerei vor allem eine Gefahr: "Da sitzen Klienten, die psychisch schwer belastet sind und die professionelle Hilfe bräuchten. Eine Wahrsagerin, ohne jegliche psychologische und therapeutische Ausbildung, kann gar nicht einschätzen, was ihre Ratschläge auslösen können." Geiger erklärt, dass sie ihre Klienten auch an Therapeuten verweisen würde. Doch an sich vertritt sie eine andere Meinung als Harder: "Ich finde schon, dass man den Menschen helfen soll, und für mich ist ja wichtig, dass ich helfen kann."

Als Geiger die Hände von Johanna wieder loslässt, bleibt der Eindruck, dass hinter Wahrsagerei vor allem eines steckt: gute Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, aber wenig Übersinnliches oder gar Wissenschaft.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist im Rahmen des Studiums Ressortjournalismus an der Hochschule Ansbach entstanden. Sowohl die Autorin Rebecca Zweigle als auch die Protagonistin Johanna Siegl studieren dort.

Weiden in der Oberpfalz27.02.2024
Hintergrund:

Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)

  • Gründung im Jahr 1987 in Bonn.
  • Ist inzwischen ein Verein mit Sitz in Hessen.
  • Hat nach eigenen Angaben 2100 Mitglieder.
  • Will Aufklärungsarbeit zu Parawissenschaften, wie Wahrsagerei, Kartenlegen und Astrologie leisten.

Quelle: Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)

 
 

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