Illustration: Katharina Hofbauer
Schneller Schlau

Die ungestillte Lust aufs Mineralwasser

Von BENJAMIN FISCHER (Text) und OLIVER SCHLÖMER (Grafiken) · 30. Oktober 2023

Mehr als 10 Milliarden Liter setzen die deutschen Mineralbrunnen ab. Beliebt ist vor allem Sprudel. Neben Aldi oder der Schwarz-Gruppe mischen auch globale Konzerne munter mit im Geschäft.

Gegen die Mineralbrunnen laufe eine Kampagne – und zwar unter ministerialer Beteiligung, sagte Karl Tack vor knapp drei Jahren der F.A.Z. Der nunmehr ehemalige Vorsitzende des Verbands Deutscher Mineralbrunnen (VDM) bezog sich unter anderem auf Svenja Schulzes öffentliches Werben für das Trinken von Leitungswasser. Die damalige Bundesumweltministerin verwies auf dessen hohe Qualität und die Vermeidung von Verpackungen und Transportkosten. Wassersprudler-Hersteller wie Sodastream, 2018 für 3,2 Milliarden Dollar von Pepsico übernommen, werben ähnlich für ihre Produkte. Auch dass im Zuge der EU-Trinkwasser-Richtlinie mehr öffentliche Trinkwasserbrunnen aufgestellt werden sollen, dürfte Mineralbrunnen nicht gerade in die Karten spielen.

Zuletzt hat der Pro-Kopf-Konsum von Mineral-und Heilwasser wieder zugelegt. Die Höchstwerte liegen allerdings ein paar Jahre zurück. Deutlich weniger Mineral- und Heilwasser tranken die Deutschen etwa noch im Jahr 2000 – damals waren es „nur“ 100,3 Liter pro Kopf. Der VDM hört derweil nicht auf zu betonen, dass Leitungswasser und Mineralwasser zwei unterschiedliche Produkte seien. Der Verband geht auf dem Gebiet auch mit Klagen und Abmahnungen vor. Den Wettbewerb mit Wassersprudlern und Leitungswasser, sowie das „Mineralwasser-Bashing von Politik und Meinungsbildnern“, listet der VDM in seinem jüngsten Jahresbericht unter den größten Herausforderungen für die Branche auf. Zu diesen zählen auch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges mit Preissteigerungen in vielen Bereichen. Schon die Pandemie hatte den Unternehmen zu schaffen gemacht, da die Gastronomie zeitweise als Kunde ausfiel oder nur eingeschränkt öffnen konnte.

Abgesehen vom ohnehin recht kleinen Segment der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassenen Heilwässer legten alle Sorten im Absatz wieder zu. Besonders gefragt ist Mineralwasser mit wenig Kohlensäure, gerne als „Medium“ verkauft. Das stärkste Plus verzeichnete aber stilles Wasser. Unter „Wasser mit Aroma“ fallen indes Produkte wie „Active O2“ Adelholzener , also klares Wasser beispielsweise mit zugesetztem Frucht-Geschmack. in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Der Absatz von Limonaden oder Schorlen aus dem Hause der 157 Mitgliedsunternehmen wird als „Mineralbrunnen-Erfrischungsgetränke“ gesondert angegeben.

Viele Unternehmen der Branche sind Mittelständler, teils familiengeführt. Doch auf dem Markt tummeln sich auch größere Player. Mag den Namen des mit Blick auf den Absatz führenden deutschen Mineralbrunnens wohl kaum ein Verbraucher kennen, so ist der Eigentümer der MEG-Gruppe umso bekannter: die Schwarz-Gruppe – Mutterkonzern von Lidl und Kaufland. 

Eigene Brunnen reizen auch andere. So übernahm Discounter-Konkurrent Aldi Nord vor knapp einem Jahr zwei Standorte der Altmühltaler Gruppe, die einst unter dem Namen Schäff-Gruppe firmierte. Die „Urstromquelle“ im brandenburgischen Baruth wiederum ging an Energydrink-Riese Red Bull und dessen Abfüller, den Safthersteller Rauch. Erst vor rund zwei Wochen kaufte Edeka einen Brunnen von der Hassia -Gruppe. Interessante Verflechtungen gibt es in der verzweigten Branche einige: Die Mehrheit an Gerolsteiner hält beispielsweise die Bitburger Holding . Auch Coca-Cola mit den Wassermarken Vio und Apollinaris besitzt in Deutschland Brunnen.

Internationale Konzerne sind gerade mit Blick auf die Import-Bilanz interessant. Mit Frankreich und Italien spielen zwei Länder dabei die größte Rolle. In Frankreich befinden sich beispielsweise die Quellen von Volvic und Evian – beide Marken gehören zu Danone –, während aus Italien San Pellegrino oder Acqua Panna eingeführt werden. Letztere vertreibt der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé . Eine weitere bekannte Marke, Vittel, – gefördert in Frankreich – nahm Nestlé im vergangenen Jahr in Deutschland und Österreich aus dem Handel. 2021 hatte der Konzern sein nordamerikanisches Wassergeschäft an einen Finanzinvestor verkauft. Schon Ende 2020 trennte Nestlé sich vom Wassergeschäft in China. Der Fokus liegt auf den margenstärkeren Premium-Marken wie den beiden bekannten aus Italien.

An der Abfüllung von Vittel hatte es in der Vergangenheit immer wieder Kritik gegeben. So soll die Wasserentnahme in dem gleichnamigen Ort in den Vogesen zu einem sinkenden Grundwasserspiegel geführt haben. Auch der Mineralwasserimport an sich steht angesichts einer Fülle an regionalen Brunnen immer wieder im Fokus. Der Faktor Transport, der die CO2-Bilanz des Flaschenwassers maßgeblich beeinflusst, ist neben der Verpackung das naheliegendste Argument für Verfechter des Leitungswasserkonsums. Nestlé etwa verweist darauf, dass 90 Prozent der San Pellegrino-Produkte per Bahn von Italien nach Deutschland transportiert werden. Zuletzt ist die Beliebtheit der Glasflasche wieder leicht gestiegen. Häufiger wiederverwendbar als die PET-Mehrwegvariante, aber eben auch schwerer als das Plastik-Pendant.

Das wiederum fällt negativ beim Transport ins Gewicht. Einweg-Plastikflaschen – die am weitesten verbreitete Variante – haben einen noch mal größeren Gewichtsvorteil, werden aber wie der Name schon sagt, nur einmal befüllt und dann recycelt, wenn sie richtig entsorgt werden. Die vorteilhafteste Klimabilanz dürfte grundsätzlich Mehrweg aus der Region haben. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner in der Debatte. Was alles unter „regional“ fällt, ist mangels einer verbindlichen Definition des Begriffs aber fraglich. Mit Blick auf das größere Bild gibt es diverse Variablen, die die Gleichung beeinflussen. Werden Standard-, sogenannte „Pool“-Flaschen aus PET oder Glas genutzt oder eigens designte, die auch immer zu dem einen Brunnen zurück müssen? Wie steht es um die Dicke oder das Material des Einweg-Plastiks und die Wertschöpfungskette generell? Die Gemengelage ist kompliziert. Der VDM betont diplomatisch, jede Verpackung habe ihre Daseinsberechtigung. Mineralwasser-Flaschen seien seit vielen Jahren „Teil des vorbildlichen Mehrweg- und Kreislaufsystems“. Wohlwissend, dass auch die Verpackungsdebatte mitunter hitzig geführt wird.

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