EU-Kommission schlägt erstmals nachhaltige Mehrwertsteuer-Reform vor

Bio-Produkte und Produkte aus fairem Handel sollen geringer besteuert werden

Die EU-Kommission hat in ihrer im Mai 2020 vorgestellten Strategie „From Farm to Fork“ (deutscher Titel „Vom Hof auf den Tisch“) erstmals einen Vorschlag zur ökologischen Reform der Mehrwertsteuer in den Mitgliedsstaaten unterbreitet. Damit sollen Anreize für den Kauf ökologisch oder sozial vorbildlicher Produkte auch für breitere Einkommensschichten gesetzt und Betriebe zum Umstieg auf die Herstellung umweltfreundlicher Produkte motiviert werden.

Das Ziel sei es, durch eine sozial-ökologische Reform der Mehrwertsteuer den Marktvorteilen für konventionelle Anbieter entgegenzuwirken, die ihre niedrigeren Preise oft durch umweltbelastende oder ausbeuterische Produktionsmethoden ermöglichen. Indem fair gehandelte- oder Bio-Produkte geringer besteuert würden als konventionelle Artikel, könnten gezielt Anreize für den Kauf nachhaltiger Produkte gesetzt werden.

Fair gehandelte Produkte zum Nullsteuersatz

Für Importe aus fairem Handel und Bio-Produkte wäre der so genannte Nullsteuersatz wünschenswert. Im momentan bestehenden Modell gilt der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent auf so genannte Güter des Grundbedarfs, während der Regelsteuersatz von 19 Prozent gewissermaßen alles andere abdeckt. Der Nullsteuersatz hingegen gilt aktuell vor allem für Immobilien – ursprünglich aus dem Gedanken heraus, dass Wohnraum als Grundbedürfnis für alle Bürger bezahlbar sein muss.

Durch die Anwendung des Nullsteuersatzes für nachhaltig produzierte Lebensmittel könnte  ein weiteres Grundbedürfnis erfüllt werden: Möglichst allen Haushalten eine gesunde Ernährung zu ermöglichen, während gleichzeitig die Umwelt geschont wird und Produzent*innen einen angemessenen Preis für ihre Produkte erhalten. Darüber hinaus könnten etwa konventionelle Tierprodukte mit dem Regelsteuersatz von 19 Prozent besteuert werden. Dadurch würden konkrete Anreize geschaffen, bei Kaufentscheidungen auf nachhaltige Produkte zurückzugreifen.

Lebensmittel sollten nur der Anfang sein

Auch Kleidung stellt ein Grundbedürfnis dar. Heute mangelt es zwar nicht länger an Alternativen, fair und nachhaltig gehandelte und produzierte Kleidung zu kaufen, dennoch sind noch wenige dazu bereit oder in der Lage, einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen.

Auch hier könnte die Steuerreform greifen. Wenn Kleidung aus fairen Rohstoffen und ökologischen Herstellungsprozessen mit dem ermäßigten oder dem Nullsteuersatz besteuert würde, während konventionelle Kleidung dem Regelsteuersatz unterliegt, wäre der Weg geebnet für mehr Fairness und Nachhaltigkeit in der Textilbranche. Die Auswirkungen wären immens, ist der Textilsektor doch ebenso wie der Lebensmittelsektor eine der größten globalen Industrien überhaupt.

“From Farm to Fork to Fairer Handel”

Die „From Farm to Fork“-Strategie ist ein Herzstück des europäischen Green Deal und ebenso wie die Fairhandels-Strategie integraler Bestandteil der Nachhaltigkeitsziele der EU. Durch eine ökologische und an Kriterien des Fairen Handels ausgerichtete Mehrwertsteuer – vor allem durch Entlastung für umweltverträgliche Produkte – könnte sich Finanzminister Olaf Scholz den Nachhaltigkeitszielen schwungvoll und sozial verträglich nähern. Die Reform könnte anschließend Schritt für Schritt auf weitere Produkte ausgeweitet werden und einen großen Schritt hin zu nachhaltigerem Konsum bedeuten.