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Stockende Energiewende Ökonomen warnen vor Ökostrom-Lücke

Der Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix könnte laut DIW im Jahr 2030 rund zehn Prozentpunkte unter Plan liegen. Ein CO2-armer Kohleausstieg wäre dann nicht möglich.
Solarzellen und Windräder in Bayern

Solarzellen und Windräder in Bayern

Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ dpa

Der Ausbau von Solar- und Windparks in Deutschland muss deutlich beschleunigt werden, wenn die Pläne der sogenannten Kohlekommission wirklich umgesetzt werden sollen. Das geht aus einer Studie hervor, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion erstellt hat und die dem SPIEGEL vorliegt.

Laut den Berechnungen der Forscher reicht der aktuelle gesetzlich vorgesehene Ökostromausbau gerade einmal aus, um den Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix bis 2030 auf 55 Prozent steigen zu lassen. Dies wären zehn Prozentpunkte weniger als die sogenannte Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung für einen klimafreundlichen Kohleausstieg für nötig hält.

Die aktiven Kohlekraftwerke haben derzeit eine Leistung von rund 45 Gigawatt. 2030 sollen laut Empfehlung der Kommission nur noch 17 Gigawatt in Betrieb sein, wenn man die Sicherheitsreserven für stromarme Zeiten nicht mitrechnet. Die für eine stabile Stromversorgung zuständige Bundesnetzagentur wird eine solche Reduktion nur gestatten, wenn es genug Strom aus neuen Quellen gibt.

Bei einem zu geringen Ausbau der erneuerbaren Energien müssten entweder Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben, oder es müssten mehr Gaskraftwerke Strom produzieren. Da auch Gaskraftwerke CO2 emittieren, ließen sich die deutschen Klimaschutzziele für 2030 in keinem dieser beiden Szenarien erreichen.

Ausbau von Windrädern verlangsamt sich

Der gegenwärtige Koalitionsvertrag sieht eigentlich schon vor, das Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern. Die Bundesregierung hat bisher aber nichts unternommen, um dieses Ziel zu erreichen. Ihre aktuelle Energiepolitik hat eher einen bremsenden Effekt.

2018 wurden nur gut 740 Windräder mit einer Leistung von insgesamt 2,4 Gigawatt gebaut - deutlich weniger als die von der Bundesregierung angestrebten 2,9 Gigawatt, die jedes Jahr neu ans Netz gehen sollen. Für 2019 rechnet der Bundesverband Windenergie mit nicht einmal mehr 2 Gigawatt Zubau.

Hauptgrund für die Flaute ist eine Änderung der Windenergieförderung. Statt festgelegten, von vornherein über 20 Jahre garantierten Stromabnahmepreisen werden Windparks inzwischen ausgeschrieben. Wer für seine Anlagen die geringsten Strom-Abnahmepreise verlangt, erhält den Zuschlag. Dies gilt aber für die meisten Firmen als wenig attraktiv.

Die Windbranche hat also schon jetzt Probleme, die Vorgaben der Bundesregierung zu erfüllen. Dabei sind diese aus Sicht der DIW-Experten noch viel zu niedrig, um die Energiewende wieder auf Spur zu bringen.

Um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen, "bedarf es einer Anpassung des jährlichen Bruttozubaus auf 4,4 Gigawatt für Photovoltaik und auf 4,3 Gigawatt für Wind Onshore", heißt es in der Studie der Wirtschaftsforscher.

"Mit den Klimazielen nicht vereinbar"

"Das heutige Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien ist mit dem Kohleausstieg und den Klimazielen nicht vereinbar", sagt Oliver Krischer, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. "Neue Windausbauflächen und bessere Planungsverfahren wären erste wichtige Schritte, um den Ökostromausbau wieder anzukurbeln."

Julia Verlinden, die energiepolitische Sprecherin der Grünen, ergänzte: "Mehr Ökostromanlagen sind umso wichtiger, da im Gebäudebereich und im Verkehr nach wie vor viel zu wenig passiert." Klimaschutz könne so nicht gelingen.

Lorenz Gösta Beutin, Energie- und Klimapolitiker der Linken, sieht hinter den Ausschreibungen eine Bevorzugung großer Energiekonzerne wie RWE. Es sei längst ein offenes Geheimnis, dass diese "in den Startlöchern stehen, um verlorengegangenes Terrain bei der Energiewende wettzumachen", sagt er. "Den Schaden haben die kleinen und mittleren Firmen."

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