»Mittelerde« macht mobil

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Die Linke nach dem Parteitag in Bielefeld: Wagenknecht und Bartsch sollen die Fraktion im Bundestag leiten. Querschüsse dagegen kommen aus dem Umfeld der Parteichefin Kipping. Von Peter Preiß

In der öffentlichen Wahrnehmung stand der Parteitag der Linken in Bielefeld ganz im Zeichen der Ankündigung Gregor Gysis, im Herbst nicht mehr für den Vorsitz der Bundestagsfraktion zu kandidieren. Das ist ein historischer Einschnitt für die Partei. Wenn Gysi in seiner Rede sagte: »Aus der SED eine PDS zu transformieren, war eine ungeheuer schwere Aufgabe«, dann muss hinzugefügt werden, dass diese Transformation ohne Gregor Gysi nicht gelungen wäre.

Aber auch die Gründung der Partei Die Linke wurde erst durch seine Bereitschaft, wieder für den Bundestag zu kandidieren, möglich. Zwar würdigte er in seiner Rede die Rolle Lafontaines: »Ohne Oskar Lafontaine hätte das Ganze nicht geklappt, wäre auch ich übrigens nicht in die Politik zurückgekehrt.« Aber wenn Gysi nicht mitgemacht hätte, wäre wohl auch Lafontaine 2005 nicht wieder in den Ring gestiegen.

Viele in der Partei hoffen, dass Gysi auch in den kommenden Wahlkämpfen weiter mitmacht. Wie kein anderer füllte er seit 1990 Säle und Plätze und trommelte für die PDS und später für Die Linke. Aus der Einsicht, dass jede Partei im Wahlkampf auf Politiker setzen muss, die Säle und Plätze füllen, erklärt sich auch die Entscheidung Sahra Wagenknechts entgegen ihrer Ankündigung vom März, doch als Fraktionsvorsitzende zu kandidieren. Wie man hört, wurde sie von vielen Seiten, nicht zuletzt von den »Reformern« gedrängt, ihren Verzicht rückgängig zu machen. Wenn Gysi in Zukunft weniger zur Verfügung steht, bleibt nur noch Wagenknecht als Publikumsmagnet für die zentralen Wahlkampfveranstaltungen der Partei. Die Linke-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger beispielsweise haben keinen großen Publikumszuspruch, und schon in den zurückliegenden Wahlkämpfen wurde Sahra Wagenknecht neben Gregor Gysi immer häufiger für die großen Kundgebungen gebucht.

Gespenst Flügelkämpfe
Der Rückzug Gysis wurde von vielen Kommentatoren zum Anlass genommen, das Gespenst wieder aufflammender Flügelkämpfe an die Wand zu malen. Nur der »Zentrist« Gysi habe bisher die Auseinandersetzungen eingrenzen können, hieß es, und der so Gelobte sah sich selber immer als einziger Integrator der Partei. Das war aber eine Selbsttäuschung, wie der Göttinger Politikwissenschaftler Matthias Micus, der über die Linke forscht, kürzlich im Deutschlandfunk (16. Juni 2015) erläuterte: »Zum einen war Gregor Gysi in der Vergangenheit nicht wirklich mehr Zentrist der Partei, als der er sich selbst dargestellt hat, sondern er war selbst ein Flügelmann, preschte zunehmend weiter voran, war ungeduldig und ließ die Partei dadurch zunehmend hinter sich zurück.«

Dieses Urteil ist gerechtfertigt, denkt man an Gysis Forderungen nach Waffenlieferungen an die Kurden oder an sein Plädoyer für den weiteren Verbleib Deutschlands in der NATO. Auch sein permanentes Werben für eine Koalition mit SPD und Grünen sorgte für Irritationen und Verstimmungen. Am Beifall für Sahra Wagenknecht konnte man ablesen, dass die Delegierten des Bielefelder Parteitages zur Zeit keine Möglichkeit sehen, mit der immer weiter nach rechts abdriftenden Gabriel-SPD eine Regierung zu bilden. Und in der Tat: Gabriels Absage an die Vermögenssteuer, seine Befürwortung von TTIP und Vorratsdatenspeicherung und sein Beharren auf Renten- und Lohnkürzungen in Griechenland rücken eine Koalition der Linken mit der SPD und den Grünen in weite Ferne.

Die jetzt ins Auge gefasste Doppelspitze Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch kann, wenn es beiden gelingt, Vertrauen zueinander zu finden, die Partei nach vorne bringen. Dazu noch einmal der Göttinger Parteienforscher Micus: »Es spricht in der Tat vieles dafür, dass eine Partei, die derart heterogen ist, von einer kollektiven Führung, von einer Doppelspitze sowohl in der Parteiführung als auch in der Fraktion geführt wird.«

#Wagenknartsch
Gefahr droht dem neuen Duo allerdings von einer anderen Seite. Von der Öffentlichkeit weniger bemerkt, ist es der Parteivorsitzenden Kipping in den letzten Jahren gelungen, eine eigene Strömung, »Mittelerde« genannt, aufzubauen, die vor allem in der Bundestagsfraktion verankert ist. Hier bilden vor allem Caren Ley, Axel Troost, Jan van Aken und Thomas Nord den Kern dieser neuen Gruppierung. Das Zusammengehen von Wagenknecht und Bartsch wurde von Kippings »Mittelerde« über die Medien seit Monaten als »Beutegemeinschaft« und »Hufeisen« diskreditiert. Einer aus dieser Strömung ätzte kürzlich in der Leipziger Volkszeitung gegen die »Faule aus der Linken-Schickeria« und den »Profillosen« aus dem Reformerlager. Gemeint waren Wagenknecht und Bartsch. Bei Twitter wurde der Hashtag »#Wagenknartsch« kreiert, um zu symbolisieren, dass die beiden designierten Fraktionsvorsitzenden wohl kaum miteinander auskommen werden. Von den Medien wurden diese Spitzen gerne aufgegriffen. In der Welt am Sonntag (21. Juni 2015) wurde von einem für Bartsch »kreuzgefährlichen« Geschäft um die Zeitung Neues Deutschland berichtet. Das wurde getätigt, als dieser Bundesgeschäftsführer war. Dadurch sei ein Loch in der Parteikasse entstanden. Das Springer-Blatt weiß, dass die Gegner Bartschs »fleißig Munition sammeln, um ihn zu Fall zu bringen«. Der Kipping-Vertraute und heutige Linke-Schatzmeister Thomas Nord, »kein Anhänger von Bartsch« (WamS), kündigte in dem Bericht, der aus internen Dokumenten der Schatzmeisterei zitiert, an, dass er die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen wolle.

Zur Erinnerung: Ihren Verzicht im März auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz begründete Wagenknecht intern auch damit, dass ihr die ständigen Machenschaften der »Mittelerde« auf die Nerven gingen.

Kipping gilt ihren Anhängern als geschickte Taktiererin, während ihre Gegner in ihr eine notorische Intrigantin sehen. Letztere verweisen dabei darauf, wie sie auf dem Göttinger Parteitag im Juni 2012 ihre angebliche Wunschpartnerin Katharina Schwabedissen ausgetrickst hat. Mit der Parole, wir wollen keine Flügelkämpfe, zwei Frauen wollen einen wirklichen Neuanfang, brachte sie sich zunächst als Parteivorsitzende ins Gespräch. Als sie Lafontaines Strategie durchschaute, der die Hamburgerin Dora Heyenn verhindern wollte, um den Schwaben Bernd Riexinger gegen Dietmar Bartsch durchzusetzen, ließ sie Schwabedissen fallen und stand sofort als ostdeutsche Kovorsitzende bereit.

Markus Decker beschrieb in der Frankfurter Rundschau diesen Vorgang so: »2012 sagte sie zunächst, sie wolle gar nicht Parteivorsitzende werden. Später konnte sie sich eine weibliche West-Ost-Doppelspitze mit Katharina Schwabedissen aus Nordrhein-Westfalen vorstellen. Schlussendlich stand Kipping mit Bernd Riexinger auf dem Siegertreppchen des Göttinger Parteitages. Ganz schön clever.«

An diese Cleverness fühlte sich mancher erinnert, als Kipping jetzt kürzlich erklärte, sie wolle nicht Fraktionsvorsitzende werden und die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Bundestagsabgeordneten Martina Renner und Jan van Aken als Alternative für Wagenknecht und Bartsch ins Spiel brachte. Dies tat sie wohl in der Hoffnung, dass die Fraktion sie als die im Vergleich zu den beiden deutlich bekanntere Politikerin letztendlich bitten würde, doch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Dieser Plan wäre aufgegangen, hätte die Bartsch-Truppe im Verein mit dem linken Flügel Wagenknecht nicht umgestimmt.

Wagenknecht und Bartsch müssen in Zukunft mit weiteren Störmanövern der »Mittelerde« rechnen. So forderte Axel Troost in der FAZ, dass »die gewachsene politische Mitte in der Fraktion« im Fraktionsvorstand stärker repräsentiert sein müsse. Und vor der Wahl der Fraktionsvorsitzenden sollte es »verbindliche Anforderungen an die Präsenz im Bundestag geben«. Das zielt auf Wagenknecht, von der bekannt ist, dass sie öffentlichkeitswirksame Termine der Kärrnerarbeit in Sitzungen und Gremien bei weitem vorzieht, was ihr selbst viele Unterstützer ankreiden.

Langsam regt sich der Widerstand gegen Kippings Versuch, die Linke zu einem von ihr gesteuerten esoterischen Wahlverein zu machen. Der Gewerkschaftsflügel hält ihr penetrantes Eintreten für ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro für jedermann, ob Millionär oder arbeitslos, für utopische Spinnerei. Der linke Flügel erinnert sich an Kippings Unterstützung von »Adopt a evolution« zusammen mit Claudia Roth, Andrea Nahles, Jan van Aken und Stefan Liebich. Konstantin Wecker, der ursprünglich ebenfalls unterschrieben hatte, zog seine Unterschrift sofort zurück, als er sah, dass die Initiatoren dieses Aufrufs auch Waffenlieferungen an syrische Aufständische und militärische Interventionen des Westens befürworteten. Und die Reformer haben nicht vergessen, wie Kipping im Zusammenspiel mit Lafontaines Truppen Dietmar Bartsch als Parteivorsitzenden verhindert hat.

In einem Interview der Bild am Sonntag sagte die Chefin der Strömung »Mittelerde«: »Um die Partei mache ich mir keine Sorge. Hier haben wir eine neue Kultur etabliert. Wir konzentrieren uns auf das Verbindende.«

Wenn Kipping in Zukunft damit bei sich selbst beginnt und die Querschüsse ihrer »Mittelerde« stoppt, könnte der Neuanfang in der Fraktion nach Gysis Verzicht gelingen. Voraussetzung ist aber auch, dass Wagenknecht mehr Präsenz im Bundestag zeigt und das Feld nicht der Parteivorsitzenden überlässt, deren »lustvoller feministischer Sozialismus« dann endet, wenn Frauen wie Wagenknecht ihrer Karriere im Wege stehen.

Zuerst erschienen in: Junge Welt