Um 4,5 Prozent sind die Preise für Lebensmittel im vergangenen Jahr gestiegen. Doch wenn es nach dem neuen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) geht, darf es ruhig noch mehr werden. Im Interview mit der Bild-Zeitung kündigte er an, dass Lebensmittel künftig nicht mehr verramscht werden sollen. Was hat der Minister vor und wo liegen die Tücken seines Plans?

Wie will Özdemir Niedrigpreise verhindern?

Jedenfalls nicht, indem er quasi die Planwirtschaft für Lebensmittel einführt und selbst Mindestpreise festlegt, wie ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums klarstellte.

Stattdessen geht es ihm darum, bestimmte Vorgaben für die Produktion zu machen, die zu mehr Tier- und Klimaschutz und damit auch zu steigenden Preisen führten. Gleichzeitig will er aber auch die Investitionsförderung so ausrichten, dass gute Haltungsbedingungen belohnt werden. Özdemir plant außerdem eine verbindliche Tierwohlkennzeichnung schon im kommenden Jahr. Diese erleichtere es dem Verbraucher und der Verbraucherin, selbst zu entscheiden, wie viel sie für Tierwohl ausgeben wollen. Die Einführung dieser Kennzeichnung wäre wohl verbunden mit einer Abgabe für die Verbraucher, mit der die höheren Kosten für eine artgerechtere Haltung finanziert werden könnten. Es solle ein "durch Marktteilnehmer getragenes System" entwickelt werden, um mit den Einnahmen zweckgebunden laufende Kosten und Investitionen zu fördern, heißt es dazu etwas kryptisch im Koalitionsvertrag.

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Wird Bio das neue Normal?

Nein, jedenfalls nicht in naher Zukunft. Die Ampel hat sich laut Koalitionsvertrag aber vorgenommen, bis 2030 den Anteil des Bioanbaus von derzeit zehn Prozent auf dreißig Prozent der Fläche zu steigern. Das Hauptproblem dabei: Wenn es mehr Biolebensmittel gibt, braucht man dafür auch Abnehmer. Denn viele Bauern würden gerne umstellen, wissen aber nicht, ob sie ihre Bioprodukte dann auch loswerden. Özdemir schlägt deshalb vor, die Nachfragemacht des Staates zu nutzen und in öffentlichen Einrichtungen verstärkt Lebensmittel zu verwenden, die aus biologischem oder regionalen Anbau stammen.

Der Deutsche Bauerverband (DBV) hält das Ziel von 30 Prozent bis 2030 jedoch für unrealistisch. Die Nachfrage nach Bioprodukten wachse zwar, sagt Vizegeneralsekretär Udo Hemmerling, doch nicht in diesem Tempo. Gerade die öffentlichen Kantinen hätten bisher besonders preissensibel eingekauft. Zuständig für diese seien in der Regel zudem die Kommunen und seltener der Bund.

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Wie stark könnten die Preise steigen?

Das lässt sich natürlich schwer sagen, weil es davon abhängt, welche Mindeststandards etwa für Tierwohl vorgeschrieben werden. Und es kommt darauf an, ob vor allem Verbraucher und Verbraucherinnen den Umbau bezahlen oder ob der Staat das überwiegend über Steuergeld regeln würde. Derzeit kostet ein Kilo konventionelles Hackfleisch etwa fünf Euro, in Bioqualität das Doppelte. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller, betonte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, dass es auch künftig nicht nur billiges Fleisch und teures – also Biofleisch – geben könne. Letzteres könnten sich viele Menschen nicht leisten. Stattdessen müsse es mehrere Produktionsstandards geben. Er könne sich Preisaufschläge zwischen zehn Cent und einem Euro pro Kilo Fleisch vorstellen.

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Plant die Ampel einen Sozialausgleich für die steigenden Lebensmittelpreise?

Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, forderte in der Welt mit Blick auf Sozialhilfeempfänger, Preissteigerungen bei Lebensmitteln müssten "zwingend mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze einhergehen. Man kann Ökologisches und Soziales nicht trennen. Es geht nur ökosozial, sonst verliert man die Unterstützung der Bevölkerung." Vonseiten des Bundesarbeitsministeriums hieß es, Preissteigerungen bei Lebensmitteln flössen in die Neuberechnung der Grundsicherung ein. Für die Berechnung der Hartz-IV-Sätze werden die Ausgaben der unteren 15 Prozent der Einpersonenhaushalte sowie der unteren 20 Prozent der Mehrpersonenhaushalte herangezogen. Der Satz wird jährlich angepasst. Für Menschen mit niedrigem Einkommen, die nicht auf staatliche Leistungen angewiesen sind, gäbe es dagegen keine Kompensation. Sie müssten künftig wohl einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben.

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Sind das Problem nicht eher die Lebensmittelkonzerne, die den Bauern die Preise diktieren?

Tatsächlich beherrschen vier Handelskonzerne – Lidl, Aldi, Rewe und Edeka – 70 Prozent des Lebensmittelmarktes. Und gerade die Discounter üben Druck auf die Landwirte aus, billig zu produzieren. Allerdings spiele auch der Weltmarkt eine korrigierende Rolle, sagt Hemmerling. So seien die Preise für Milch, Getreide und Raps zuletzt global gestiegen, das mache sich dann auch in Deutschland bemerkbar. Die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette, die im Mai auch in deutsches Recht überführt wurde, soll zudem bestimmte unlautere Praktiken verhindern, wie etwa den Zwang, dass Erzeuger verderbliche Produkte zurücknehmen, die nicht verkauft werden.

Gerade beim Fleisch haben neun Lebensmittelkonzerne zuletzt bereits eine freiwillige Tierwohlkennzeichnung (Haltungsform) eingeführt, auch wenn Verbraucherschützer die Eingangsstufe als zu niedrig kritisieren. Aldi Nord beispielsweise hat zudem versprochen, bis 2030 nur noch Fleisch der Haltungsstufen drei und vier anzubieten.

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Muss ein verpflichtendes Tierwohllabel nicht EU-weit geregelt werden?

Mit diesem Argument hatte die bisherige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine verpflichtende Einführung abgelehnt. Ob eine verbindliche Kennzeichnung dennoch möglich wäre, ist umstritten. Auf jeden Fall müsste sich die Bundesregierung mit der EU-Kommission abstimmen, sagt Bauernverbandsvertreter Hemmerling. Schließlich gebe es einen europäischen Binnenmarkt. Auch Peter Feindt, Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin, befürchtet: "Eine verbindliche Kennzeichnung nur für Deutschland wäre europarechtlich problematisch. Und Handelspartner außerhalb der EU könnten ein solches Label als nicht tarifäres Handelshemmnis werten." Importeure würden dadurch nämlich gezwungen, ebenfalls solche Kennzeichnungssysteme aufzubauen, wenn sie weiter den deutschen Markt beliefern wollen.

Stattdessen könnten sich Lebensmittelkonzerne zusammentun und freiwillig bestimmte Mindeststandards für tierische Produkte vereinbaren, sagt Feindt. Dabei könne es allerdings kartellrechtliche Probleme geben. Er hält dieses auf Absprache beruhende Vorgehen dennoch für sinnvoller, als auf eine EU-weite Kennzeichnung zu warten. Innerhalb der EU gebe es schließlich sehr unterschiedliche Präferenzen, was das Tierwohl angeht.

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Was ist mit Billigimporten?

Wenn in Deutschland die Lebensmittelpreise steigen, wird dann nicht einfach aus dem Ausland billigere Ware importiert und die deutschen Bauern haben erst recht das Nachsehen? Nicht unbedingt. "Wenn Lebensmittelkonzerne und Gastronomie sich wie oben beschrieben freiwillig darauf verständigen würden, nur noch Fleisch einer bestimmten Haltungsstufe zu kaufen, würde das Billigimporte verhindern", sagt Agrarwissenschaftler Feindt. Selbst wenn nicht alle Händler mitmachten, würden dadurch moralische Normen kommuniziert werden, was als richtiges Verhalten gilt.

Generell ist aber auch zu sagen: Lebensmittel sind in Deutschland heute billiger als in vielen anderen europäischen Ländern. Bei einem Lebensmittelpreisindex steht Deutschland auf Platz 16 und liegt damit etwa hinter Frankreich oder Italien. Aus diesen Ländern kann also gar nicht billiger importiert werden.

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Und was ist mit den Exporten?

Durch höhere Produktionskosten werde man ein Stück weit vom internationalen Markt abgehängt, sagt Hemmerling vom Bauernverband. Allerdings sei man in der Situation, dass man insgesamt um die Zukunft der Tierhaltung in Deutschland kämpfe. Teilstücke von Tieren etwa, die in Deutschland nicht so gefragt seien, würden auch künftig ins Ausland exportiert. International werde man dafür keinen höheren Preis bekommen. Deswegen müssten die zusätzlichen Kosten für das Tierwohl vom heimischen Verbraucher finanziert werden. Was Obst und Gemüse angeht, ist Deutschland schon heute ein Importland. Nur 30 Prozent des Bedarfs werden wegen der hohen Lohnkosten durch inländische Produkte gedeckt.

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