Channel Fokus Nachhaltigkeit & IT Think Green: Umdenken für die Umwelt

Von Sylvia Lösel

Nachhaltigkeit ja, aber wie? Ein Umdenken ist erforderlich, das vielerorts bereits begonnen hat. Wie vielfältig nachhaltiges Handeln, Denken und Forschen bereits ist, macht Mut für die Zukunft. Doch auch aus der Vergangenheit kann man lernen.

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Grün denken kann für Unternehmen einen Innovationsschub bedeuten.
Grün denken kann für Unternehmen einen Innovationsschub bedeuten.
(Bild: netrun78 - stock.adobe.com)

„Rent a cow“ war im Mittelalter ein selbstverständliches Teilhabe-Prinzip. Wer Geld hatte, kaufte die Kuh, wer die Arbeitskraft und Zeit hatte, sorgte für sie. Am Ende profitierten beide Seiten. Dieses Modell der Kreislaufwirtschaft sorgte für mehr soziale Gerechtigkeit und einen achtsamen Umgang mit der Natur, um auch im nächsten Jahr noch von und mit ihr leben zu können. Auch Recycling und Refurbishing, an das sich moderne Industrienationen sukzessive wieder herantasten, waren damals gang und gäbe.

Das Wort „Abfall“, im heute geläufigen Sinn als „nicht wiederverwertbarer Rest“, tauchte überhaupt erst in den 70er-Jahren des 20. Jahrhundert in den Wörterbüchern auf. „Die Wegwerfgesellschaft ist, historisch betrachtet, ein kurzfristiges Ausnahmephänomen“, schreibt Annette Kehnel in ihrem Buch „Wir konnten auch anders“ und gibt historischen Anschauungsunterricht und Anregungen für kreative Ansätze künftiger Nachhaltigkeits-Strategien.

Wie lernt man, anders zu denken?

Diese sind dringend gesucht. Denn heute gilt mehr denn je, was der Club of Rome vor 50 Jahren bereits als Ergebnis einer Computer-Simulation für die Zukunft der Weltwirtschaft skizzierte. „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen.“ Nie war diese Studie aktueller als heute, wo wir am Punkt stehen, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit neu zu denken. Wie also gelingt dies?

Die Verteuerung der Energiepreise gepaart mit Fördermitteln für Nachhaltigkeit sind bereits Anreize, die viele zum Umdenken bewegen. Forschungsprojekte sprießen aus dem Boden, wie beispielsweise das der Universität Greifswald, bei dem in Mecklenburg-Vorpommern Rohrkolben in einer Moorlandschaft wachsen. Hier werden Moore als wichtiger CO2-Speicher zurückgewonnen, aus den dort wachsenden Rohrkolben wird Nutzen gezogen: beispielsweise als Dämmmaterial oder künftig möglicherweise gar als Schilf-Silizium für Halbleiter. Der ITK-Branche kommt bei allen Plänen zu klimaneutraler Weltwirtschaft ohnehin eine Schlüsselrolle zu, auch wenn Kritiker mahnen, dass auch die Digitalisierung Energie frisst. Dennoch ist die Digitalisierung ein Kernelement, um nachhaltigere Prozesse zu etablieren. Dem Energieverbrauch digitalisierter Prozesse stehen zumeist deutliche Energieeinsparungen an anderer Stelle gegenüber. Das klassische Beispiel ist der Vergleich zwischen Anreise zu einer Präsenzveranstaltung und virtuellen Meetings. Letztere sorgen für einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck. Dr. Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut geht noch einen Schritt weiter, wenn er Einsparpotenziale identifiziert. Denn wer sich mit einem großen Videomonitor einloggt, verbraucht fast sechsmal so viel Energie wie ein Teilnehmer, der mit dem Notebook dabei ist. An diesem Beispiel wird auch klar, wie weit man die Nachhaltigkeits-Schraube drehen kann.

Wie geht man den ersten Schritt?

Wie also beginnen? Natürlicherweise haben sich viele, Endanwender wie Unternehmen, zunächst einmal auf die sprichwörtlichen „low hanging fruits“ konzentriert: Photovoltaik aufs Dach, Fuhrpark elektrifizieren, Verpackungsmaterial einsparen. Das sind wichtige Elemente, doch die nächsten Schritte müssen folgen und werden schwieriger. Welche Materialien verwende ich künftig für meine Produkte? Wie können diese in eine Kreislaufwirtschaft überführt werden? Wo produziere ich? Aus welchen Materialien besteht die Verpackung meiner Produkte? Die Liste ist lang. Doch die gute Nachricht ist: es gibt bereits sehr viele kreative Ideen.

Ein Beispiel ist Telehouse Deutschland. Der RZ-Betreiber hat sich im Projekt Frankfurt Westville mit Energieversorger und Kommune zusammengefunden, um mit der Abwärme aus dem Datacenter Wohngebäude zu beheizen. Zusammenarbeit unterschiedlicher Gewerke und Branchen ist dafür der Schlüssel. Und genau dies wird künftig eine entscheidende Rolle spielen, will man sinnvolle, nachhaltige Lösungen finden. Alleine geht das in einer globalisierten, vernetzten Welt längst nicht mehr.

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Dr. Stephan Ramesohl, Co-Leiter Forschungsbereich Digitale Transformation beim Wuppertal Institut

Mit welchen Maßnahmen bekäme man die Abfallkategorie ‚Elektroschrott‘ am schnellsten in den Griff?

Dr. Stephan Ramesohl, Co-Leiter Forschungsbereich Digitale Transformation, Wuppertal Institut
Dr. Stephan Ramesohl, Co-Leiter Forschungsbereich Digitale Transformation, Wuppertal Institut
( Bild: Wuppertal Institut )

Ramesohl: Im Kern aller Strategien muss die Verlängerung der Lebensdauer stehen, beziehungsweise im Umkehrschluss die Vermeidung vorzeitiger Obsoleszenz. Der wichtigste Ansatz ist meines Erachtens eine konsequente Modularisierung in Verbindung mit reparaturfreundlichen Konstruktionsverfahren wie Schrauben und Klemmen statt Kleber. Einzelne, defekte Teile müssen einfach und kostengünstig austauschbar sein, damit nicht das ganze Gerät funktionsunfähig wird. Gleiches gilt für das nachträgliche Aufrüsten zur Leistungssteigerung, wie wir es mit der Erweiterung von Speicherkarten schon lange kennen. Die Hersteller haben darauf Einfluss, durch Design, Bereitstellung von Werkzeugen, Ersatzteile und Reparaturanleitungen. In Summe bieten sich hier Potenziale für IT Dienstleistungen.

Wie können Software und Datenstrukturen zu Nachhaltigkeit beitragen?

Ramesohl: Elektroschrott ist zweifellos ein Problem zum Anfassen, aber Software ist ein wichtiger Einflussfaktor. Beim Update von Betriebssystemen und Programmen werden häufig immer höhere Anforderungen an die Hardware gestellt, was zur software-bedingten Obsoleszenz führt. Eine Trennung und Wahlmöglichkeit von sicherheitsrelevanten und funktionserweiternden Updates würde helfen, da erstere in der Regel auf bestehende Hardware aufgespielt werden können.

Und: Das Softwaredesign, die Datenstrukturen, das Datenmanagement und die digitalen Geschäftsmodelle entscheiden über die Frage, welche Hardware ich benötige, in welcher Form, Ausführung und Dimensionierung und mit welcher Nutzungsintensität. Kurz: die Hardware verursacht die Umweltwirkung, aber die Software ist der eigentliche Treiber. Und hier liegen enorme Optimierungspotenziale.

Ohne Schmerzen wird es nicht gehen

An diesem Punkt setzt auch das Lieferkettensorgfaltsgesetz an, das im kommenden Jahr greift. Mit dem Gesetz werden Unternehmen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. „Unternehmen verantworten nicht nur das fertige Produkt und die Prozesse im eigenen Werk und die bis zum Händler. Wesentlich sind ebenso die Vorprodukte und Rohstoffe. Auch bei Lieferanten auf der anderen Seite des Erdballs. Jedes Unternehmen ist betroffen vom Lieferkettengesetz“, erklärt Urs M. Krämer, Chief Commercial Officer von T-Systems.

Diese Entwicklung wird nicht ohne Schmerzen gehen. So wird sich beispielsweise der Trend zu mehr Nachhaltigkeit nach Ansicht von Euler Hermes in den Umsätzen der Smartphone-Industrie negativ niederschlagen. Denn voraussichtlich werden sich die Austauschzyklen in den kommenden Jahren verlängern. Bis 2025 seien dadurch weltweit kumulierte Umsätze von insgesamt 134 Milliarden US-Dollar in Gefahr. Doch wo auf der einen Seite Geschäft verloren geht, tun sich auf der anderen Seite neue Möglichkeiten auf.

Eine Lösung könnte sein, die Produkte von Anfang an nachhaltig zu konzipieren und dann über Services Geld zu verdienen. Erste Schritte sind sichtbar, wie beim deutschen Hersteller Gigaset: austauschbarer Akku, Reparatur-Service, Langlebigkeit als Ziel sowie ressourcenschonende Verpackung.

Wie Produkte neu gedacht werden können und an wie vielen Stellen man ansetzen kann, verdeutlicht auch eine Notebook-Projektstudie von Dell namens Luna.

  • Das Gehäuse besteht aus mit Wasserkraft hergestelltem Aluminium.
  • Luna kommt mit einem Zehntel der Schrauben im Vergleich zu einem herkömmlichen Notebook aus.
  • Kunststoffschichten im Mainboard wurden durch Pflanzenfasern aus Leinen ersetzt.
  • Der Polymer-Klebstoff zwischen den Layern ist wasserlöslich, damit sich die einzelnen Materialien leichter trennen lassen.
  • Das Mainboard ist um etwa 75 Prozent kleiner als herkömmliche Platinen und mit 20 Prozent weniger Bauteilen bestückt.
  • Montiert ist es im Display-Cover hinter dem besonders stromsparenden Panel. So ist die Kühlung einfacher, und das Gerät kommt ohne Lüfter aus.

Produkte neu gedacht

Einen Schritt weiter ist man bei Lenovo. Der Anbieter bringt mit dem Yoga 6 bald ein 360-Grad-Convertible auf den Markt, dessen Display-Cover aus recyceltem Aluminium oder einer mit Stoff bezogenen Abdeckung besteht, die zu 50 Prozent aus recyceltem Kunststoff produziert wurde. Für das Netzteil und die Akkuzellen wird ebenfalls teilweise wiederverwerteter Kunststoff genutzt. Die Verpackung besteht aus nachhaltigem Papier und einem Schutzpolster aus 90 Prozent Recyclingplastik.

Auch der Schweizer Anbieter Prime launcht mit dem „Circular“ sein erstes nachhaltiges Notebook. Die modularen Computerkomponenten sind so konzipiert, dass sie ausgetauscht, aufgerüstet oder ersetzt werden können. Dieses Design verlängert den Produktlebenszyklus der Hardware und reduziert CO2-Emissionen.

Dass Produkte neu gedacht werden können, zeigen Druckerhersteller ebenfalls. Brother betreibt so seit fast 15 Jahren ein eigenes Werk in der Slowakei, das ausgediente Tonerkartuschen aufbereitet und erneut befüllt. Die Kunden können Kartuschen, Trommel-Einheiten und Tintenpatronen kostenfrei einsenden. Auch HP bietet ein Rücknahmeprogramm für Tonerkartuschen und Tintenpatronen. Zudem wird Recyclingkunststoff für die Produktion neuer Verbrauchsmaterialien verwendet. Kyocera Document Solutions baut bereits seit 1992 Drucker mit langlebigen Bildtrommeln aus Keramik. Da weniger Austausch fällig wird, reduziert das laut Hersteller die Abfallmenge um bis zu 75 Prozent.

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Viele Möglichkeiten, mit Nachhaltigkeit zu beginnen

38 Prozent der von IDC befragten Unternehmen verfügen nach eigenen Angaben ­bereits über einen unternehmensweiten Nachhaltigkeitsansatz, weitere 40 Prozent über einzelne Programme. Die größten Treiber sind dabei die Kundennachfrage nach umweltfreundlichen Produkten und Angeboten sowie die Verbesserung der ­Betriebs- und Produktionseffizienz. Fast ­alle gaben an, ihre Nachhaltigkeitsziele bis 2030 erreichen zu wollen, dazu gehören ­neben der konsequenten Ausrichtung auf die Kreislaufwirtschaft (44 %) vor allem die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Partnern, die ihre Nachhaltigkeitsziele teilen (41 %). Zu den größten Herausforderungen bei der Umsetzung der aktuellen Nachhaltigkeitsziele zählen

  • eine mangelnde Transparenz über Prozesse und Daten (25 %),
  • die Einbindung der Mitarbeiter auf der operativen Ebene (23 %)
  • sowie ein fehlendes Bewusstsein dafür, wie Technologie bei
  • der Steigerung von Nachhaltigkeit unterstützen kann (21 %).

Auch die Marktforscher von Gartner sehen in der oft fehlenden Transparenz eine große ­Hürde, vor allem auch in Bezug auf Cloud-­Nutzung. Im Moment seien Nachhaltigkeitsmetriken und Tools zur Platzierung von Work­loads noch unausgereift und nicht immer transparent, sodass es für Unternehmen schwierig sei, die tatsächlichen Nachhaltigkeitsauswirkungen ihrer Cloud-Nutzung vollständig und genau zu bewerten.

Ein zweites Leben für Produkte

Ist ein Produkt nicht mehr einsatzfähig, geht es in den Recycling- oder Refurbishing-Prozess. In diesem Markt haben sich mit AfB und BB-Net seit vielen Jahren Player im deutschen Markt etabliert. Teils bieten sie heute neben Geräten zum Kauf selbige alternativ bereits zur Miete an. Auch Dienstleister entdecken sukzessive den Markt für das zweite Geräteleben. Denn auf Kundenseite steigt die Nachfrage. So konnte das Kiel Institut für Weltwirtschaft in Zusammenarbeit mit Bechtle Remarketing unlängst durch Wiederaufbereitung seiner alten IT-Geräte 85.000 Kilo CO2 einsparen. Das Projekt zeigt auch, wie wichtig inzwischen die Transparenz bei den Daten geworden ist. Denn egal ob es um die Verlagerung von IT-Prozessen in die Cloud, mehr Remote Work, Wiederaufbereitung von Geräten oder gar die Optimierung von Code geht – die Dokumentation und Berechnung von Energieeinsparungen ist ein wichtiger Gradmesser für die Effizienz der Bemühungen und natürlich ein wichtiges Werbemittel auf dem Weg zu noch mehr Nachhaltigkeit.

Fazit

Die Dynamik im Markt ist bereits da, und die Überzeugung greift immer mehr um sich, dass unternehmerischer Erfolg künftig ohne nachhaltige Lösungen nicht zu haben sein wird. Das ist gut so, denn so bekommen wir die Kuh namens Klimakatastrophe vielleicht doch noch vom Eis.

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Bitkom-Umfrage

Insgesamt gibt es ein wachsendes Bewusstsein für die Klimarelevanz digitaler Technologien: Drei Viertel (74 Prozent) der Menschen in Deutschland achten insgesamt darauf, ihre Geräte möglichst lange zu nutzen bevor sie sie ersetzen. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) hat auch schon mal ein digitales oder elektronisches Gerät reparieren lassen, statt es neu zu kaufen. 61 Prozent löschen überflüssige E-Mails, Daten oder Apps auf ihren Geräten, um Speicherressourcen freizugeben und damit Energie zu sparen. Die Hälfte (51 Prozent) vermeidet Stand-by, schaltet elektronische Geräte also komplett ab. 44 Prozent verwenden, wenn möglich, die Energiesparfunktion bei Laptops oder Monitoren. Ein Fünftel (21 Prozent) reduziert die Helligkeit von Bildschirmen, um Energie zu sparen, fast ebenso viele (19 Prozent) setzen aus diesem Grund bewusst auf die Verwendung eines kleineren Bildschirms.

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