Blick in die Geschichte:Geldverdienen als Triebfeder

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Vom historischen Schlüter-Gelände sind nur noch die markanten Türme übrig geblieben. Statt Maschinenhallen gibt es dort jetzt Geschäfte. (Foto: Marco Einfeldt)

Guido Hoyer hat die Rolle der Schlüter-Werke unter den Nazis untersucht und widersprüchliche Informationen gesammelt

Von Peter Becker, Freising

Anton Schlüter, Gründer des mit 2000 Beschäftigten einstmals größten Freisinger Unternehmens, war ein gläubiger Katholik. Dennoch trat er 1937 in die NSDAP ein. Im Entnazifizierungsverfahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stufte ihn das Gericht in erster Instanz als Mitläufer ein. Der zuständige Berufungsrichter widersprach mit der Begründung, in der Traktorenfabrik seien Fremdarbeiter geprügelt und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) übergeben worden. Mit der Geschichte Schlüters und seines Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus hat sich jüngst Guido Hoyer, Landesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), in einem Vortrag auseinandergesetzt.

Schlüter, geboren 1867 in Westfalen, erweiterte 1912 sein Münchner Werk durch den Kauf der Maschinenfabrik Otto Schülein in Freising. Von 1915 bis 1917 entstanden die Gebäude an der ehemaligen Bundesstraße B 11. 1947 beschreibt der Betriebsrat Schlüter in einem Schreiben mit dem Titel "Anklage des Betriebsrats gegen Herrn Kommerzienrat Anton Schlüter" als "keinen Nationalsozialisten im Sinne der Parteizugehörigkeit". Der Betriebsrat kommt zu dem Schluss, "dass nicht das nationalsozialistische Gedankengut, sondern nur das Geldverdienen die Triebfeder war". Der Beitritt des überzeugten Katholiken zur NSDAP geschah wohl aus sozialem Druck heraus. Das Nazihetzblatt "Der Stürmer" hatte unter anderem ihn als "Freisinger Judenknecht" bezeichnet, weil er in seinem Betrieb den jüdischen Angestellten Max Schülein beschäftigte, einen Verwandten von Otto Schülein. Max verkehrte im engsten Kreise der Familie Schlüter. Auch nach seiner Entlassung im September 1938 blieb er ihr verbunden. Max Schülein wurde später im Konzentrationslager Piaski ermordet.

Unter den Beschäftigten der Schlüter-Werke gab es laut Hoyer viele Arbeiter, die gewerkschaftlich organisiert oder gar Kommunisten waren. Auch nach 1933, dem Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ließ sich in der Fabrik der "marxistische Bazillus" nicht ausrotten, wie der Referent am Beispiel des Arbeiters Adam Fabian schilderte. Der hatte im März 1936 gegenüber Kollegen geäußert, "dass man noch nie so wenig Lohn gehabt hätte wie jetzt". Das Geld, lästerte Fabian, werde in die Rüstung gesteckt, "damit wir uns hernach totschießen lassen können". Er fügte hinzu, dass den Arbeitern ganz recht geschehe, wenn sie so wenig verdienten. Ihnen gehörten noch Prügel dazu, weil sie das Dritte Reich gewählt hätten. Fabian landete wegen seines "heimtückischen Angriffs auf Staat und Partei" im Dachauer Konzentrationslager.

Schlüter führte das Unternehmen während des Zweiten Weltkriegs allein. Sein gleichnamiger Sohn war Hauptmann bei der Panzeraufklärung in der Wehrmacht. Er war ebenso Mitglied der NSDAP, verhalf aber einer jüdischen Familie mittels eines größeren Geldbetrags zur Auswanderung. Während des Zweiten Weltkriegs stellte das Freisinger Unternehmen sowohl Traktoren als auch Granaten her. Die Belegschaft bestand zum großen Teil aus Zwangsarbeitern aus Frankreich, Italien, Polen, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. Letztere stellten ein Kontingent von etwa 450 bis 500 Personen.

Über die Behandlung der Zwangsarbeiter gibt es laut Hoyer widersprüchliche Informationen. Einerseits soll Schlüter eigens eine Kapelle für orthodoxe Gottesdienste einrichten lassen. Andererseits seien insbesondere die russischen Arbeiter Schikanen ausgesetzt gewesen. Schlüter argwöhnte vor allem Sabotageakte bei der Produktion von Granaten. Strafen reichten von der Kürzung des Gehalts über Prügel bis hin zur Auslieferung eines Aufwieglers an die Gestapo. Ein Wachmann, der nach dem Krieg mit einer milden Strafe davonkam, machte gerne und häufig von seinem Gummiknüppel Gebrauch. "Er war im ganzen Betrieb als Gummijakob bekannt", beschrieb ihn ein Arbeiter im Entnazifizierungsverfahren.

Zwei der an die Gestapo überstellten Russen starben in Konzentrationslagern. Schlüter hatte stets betont, für alles was im Betrieb geschehe, voll verantwortlich zu sein. Der Betriebsrat warf ihm vor, dass er die Misshandlungen der Zwangsarbeiter hätte abstellen müssen. Dass er dies nicht tat, wertete der Betriebsrat als Beweis, dass Schlüter mit der Handlungsweise der Wächter einverstanden war. Zu einer Berufungsverhandlung kam es nicht. Schlüter starb am 3. März 1949.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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