Grundsatzentscheidung des EuGH zum Verschlechterungsverbot bei Grundwasserbenutzungen und zu Klagerechten Privater

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 28.05.2020 (Rs. C 535/18) wichtige verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Fragen zum Gewässerschutz bei der Zulassung von Infrastrukturprojekten geklärt. Damit werden auch bislang nicht höchstrichterlich entschiedene Fragen zum Verschlechterungsverbot bei Grundwasserbenutzungen beantwortet.

Hintergrund und Anlass

Hintergrund der Entscheidung ist ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), welches dem EuGH verschiedene Fragen zur Auslegung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) sowie der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL) vorgelegt hat, vor allem auch im Hinblick auf die Bewertungsmaßstäbe des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots bei Grundwasserbenutzungen.

Anlass hierfür waren mehrere Klagen gegen einen Planfeststellungbeschluss, mit dem der Plan für den Neubau eines Autobahnabschnitts der A33/B 61 (Zubringer Ummeln) von ca. 3,7 km Länge festgestellt worden war. Mit diesem straßenrechtlichen Planfeststellungbeschluss wurde auch die wasserrechtliche Erlaubnis erteilt, das auf den Straßenoberflächen anfallende Niederschlagswasser in das Grundwasser einzuleiten, wogegen sich eine Vielzahl der Kläger wegen möglicher Beeinträchtigungen der Trinkwassergewinnung durch Streusalzeinträge in private Brunnen wendete.

Rechtlicher Rahmen

Oberflächengewässer sind gemäß § 27 Abs. 1 WHG insbesondere so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird. Für das Grundwasser bestimmt § 47 Abs. 1 WHG unter anderem, dass dieses so zu bewirtschaften ist, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen und seines chemischen Zustands vermieden wird. Beide Regelungen dienen der Umsetzung von Art. 4 WRRL und sind bei einer Vorhabenzulassung zu beachten.

Für den ökologischen Zustand von Oberflächengewässern beinhaltet Anhang V der WRRL eine fünfstufige Skalierung: „sehr gut“, „gut“, „mäßig“, „unbefriedigend“ und „schlecht“. Die konkrete Klassifizierung erfolgt in erster Linie anhand biologischer Qualitätskomponenten. Hinsichtlich des chemischen Zustands von Oberflächengewässern wird zwischen „gut“ und schlecht („nicht gut“) unterschieden. Maßgeblich für die Klassifizierung ist die Einhaltung der einschlägigen Umweltqualitätsnormen und Schwellenwerte für Schadstoffe. Als Bewertungsmaßstab für eine Verschlechterung des Zustands von Oberflächengewässern hat der EuGH im sog. „Weservertiefungsurteil“ (EuGH, Urteil vom 01.07.2015, Az. C-461/13) festgestellt, dass eine Verschlechterung vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente im Sinne des Anhangs V der WRRL um eine Klasse verschlechtert, auch wenn diese Verschlechterung nicht zu einer Verschlechterung der Einstufung des Oberflächenwasserkörpers insgesamt führt. Ist jedoch die betreffende Qualitätskomponente im Sinne von Anhang V bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede weitere vorhabenbedingte Verschlechterung dieser Komponente eine „Verschlechterung des Zustands“ eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne der WRRL dar.

Für das BVerwG stellte sich im vorliegenden Verfahren u.a. die Frage, welche Bewertungsmaßstäbe in Bezug auf eine etwaige Verschlechterung des Grundwasserzustands gelten bzw. ob die Aussagen des EuGH aus dem Weservertiefungsurteil auf das Grundwasser entsprechend anzuwenden sind. Dies war in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

Bewertungsmaßstäbe für die Verschlechterung des Grundwassers

Der EuGH hat mit seinem Urteil die Auffassung des BVerwG aus dessen Vorlagebeschlüssen (vom 26.04.2018 – 9 A 15.16 und 9 A 16.16) im Grundsatz bestätigt. Demnach ist der zu Oberflächenwasserkörpern anerkannte Bewertungsmaßstab für eine Verschlechterung grundsätzlich auf das Grundwasser übertragbar. Von einer projektbedingten Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers ist – so der EuGH – sowohl dann auszugehen, wenn vorhabenbedingt mindestens eine der Qualitätsnormen oder einer der Schwellenwerte im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Grundwasserrichtlinie (RL 2006/118/EG) überschritten wird, als auch dann, wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich erhöhen wird. Außerdem hat der EuGH die Bedeutung der einzelnen Überwachungsstellen eines Grundwasserkörpers betont und festgestellt, dass die an jeder Überwachungsstelle gemessenen Werte individuell zu berücksichtigen sind.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der EuGH insbesondere aus, dass die Tragweite des Begriffs der „Verschlechterung des Zustands“ von Gewässern unabhängig von der Art des betroffenen Gewässers durch dieselben Grundsätze bestimmt wird. Zwar unterscheidet die WRRL, anders als bei Oberflächenwasserkörpern – für die sie eine Abstufung in fünf ökologische Zustandsklassen vorsieht – in Bezug auf den mengenmäßigen und chemischen Zustand von Grundwasserkörpern nur zwischen „gutem“ und „schlechtem Zustand“. Die Ziele der WRRL und die aus Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie folgenden Pflichten seien jedoch sowohl für Oberflächengewässer als auch für das Grundwasser weitgehend identisch. Dies gilt insbesondere für die Pflicht der Vermeidung der Verschlechterung des Gewässerzustands für Oberflächengewässer und für das Grundwasser.

Der Begriff der „Verschlechterung des Zustands“ von Gewässern sei im Hinblick auf eine Qualitätskomponente oder einen Stoff auszulegen. Der EuGH betont, dass die Schwelle, bei deren Überschreitung ein Verstoß gegen die Pflicht zur Vermeidung der Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers vorliegt, möglichst gering sein müsse.

Dementsprechend führt die Nichterfüllung einer der in Anhang V Ziffer 2.3.2. der WRRL genannten Qualitätskomponenten der Leitfähigkeit des Wassers oder der Schadstoffkonzentration zur Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers. Insbesondere ist die vorhabenbedingte Überschreitung einer einzigen Qualitätsnorm oder eines einzigen Schwellenwerts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der EU-Grundwasserrichtlinie in einem Grundwasserkörper als eine Verletzung der Pflicht zur Vermeidung der Verschlechterung des Zustands eines Grundwasserkörpers zu qualifizieren. Denn die Qualitätsnormen und Schwellenwerte aus der Grundwasserrichtlinie bilden die Qualitätskomponenten von Anhang V Ziffer 2.3.2. der WRRL, anhand deren die Schadstoffkonzentration bewertet werden kann.

Ebenfalls stellt jede weitere vorhabenbedingte Erhöhung einer Schadstoffkonzentration, die nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 der EU-Grundwasserrichtlinie bereits eine Umweltqualitätsnorm oder einen vom Mitgliedstaat festgelegten Schwellenwert überschreitet, eine Verschlechterung dar. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass Anhang V Ziffer 2.4. der WRRL die Hauptkriterien für die Überwachung des chemischen Zustands des Grundwassers festlegt und Ziffer 2.4.5. dieses Anhangs die Anforderungen an die Interpretation und Darstellung enthält.

Einzelne Überwachungsstelle als Maßstab

Auch wenn die WRRL beim Grundwasser hinsichtlich des mengenmäßigen und chemischen Zustands nur zwischen gut und schlecht unterscheidet, folgt daraus nach dem EUGH nicht, dass für die Feststellung einer Verschlechterung dieses Zustandes der gesamte Grundwasserkörper beeinträchtigt sein muss. Der EuGH stellt mit Blick auf das zur Überwachung des Zustands eines Grundwasserkörpers erforderliche Netz an Überwachungsstellen fest, dass eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der WRRL schon dann vorliegt, wenn eine Qualitätskomponente an nur einer einzigen Überwachungsstelle nicht erfüllt ist. Das bedeutet, dass in solchen Fällen nicht von einer nur lokalen und daher für das Verschlechterungsverbot bedeutungslosen Beeinträchtigung ausgegangen werden kann.

Klagemöglichkeiten Privater

Der EuGH hat mit seiner Entscheidung zudem das Klagerecht von Privaten bestärkt, gleichzeitig jedoch das Erfordernis der subjektiven Klägerbetroffenheit bestätigt.

Anders als Umweltverbände können Privatkläger gemäß der deutschen Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG die Aufhebung einer Entscheidung aufgrund eines Verfahrensfehlers, der nicht die Umweltverträglichkeitsprüfung oder die Durchführung einer erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung als solche betrifft, nur dann mit Erfolg gerichtlich geltend machen, wenn dieser Verfahrensfehler dem Betroffenen die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat. Im Ausgangsverfahren ging es insoweit darum, dass im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung Informationen zu den Folgen der vorgesehenen Straßenentwässerung fehlten.

In Übereinstimmung mit dem BVerwG stellt der EuGH vor diesem Hintergrund zunächst fest, dass § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. b UVP-RL vereinbar ist. Folglich kann ein Rechtsbehelf mit dem Antrag, eine Projektgenehmigungsentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben, nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn der Rechtsbehelfsführer wegen dieses Fehlers gehindert war, sein durch Art. 6 UVP-RL garantiertes Recht auf Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren wahrzunehmen. Unvollständige Angaben in den ausgelegten Unterlagen, wie hier zu den Folgen der vorgesehenen Straßenentwässerung, können nach der EuGH-Entscheidung die Beteiligungsrechte vereiteln.

Der EuGH hat zudem klargestellt, dass Art. 1 und Art. 4 der WRRL grundsätzlich einem Individualkläger das Recht einräumen, vor den zuständigen nationalen Gerichten die Verletzung der Pflichten zur Vermeidung der Verschlechterung von Wasserkörpern und zur Verbesserung ihres Zustands geltend zu machen. Damit hat das Gericht den Klägerkreis hinsichtlich der Einhaltung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele ausgeweitet. Einschränkend führt der EuGH allerdings aus, dass das Klagerecht eines Bürgers seine unmittelbare Betroffenheit sowie die rechtmäßige Grundwasserbenutzung voraussetzt. Im konkreten Fall ging es um die legale Nutzung privater Trinkwasserbrunnen, woraus sich eine unmittelbare Betroffenheit ergab.

Anforderungen für Genehmigungsverfahren

Außerdem hat der EuGH die Frage des BVerwG, ob die Prüfung der Einhaltung der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der WRRL geregelten Anforderungen zwingend im Genehmigungsverfahren (und nicht erst danach) durchzuführen ist und die Ergebnisse dieser Prüfung der Öffentlichkeit im Laufe des Genehmigungsverfahrens zugänglich zu machen sind, bejaht. Dies begründet der EuGH damit, dass sich aus Art. 4 WRRL eine an die zuständige Behörde adressierte Pflicht ergibt, die Einhaltung der Bewirtschaftungsziele nach der WRRL – insbesondere die Wahrung des für Oberflächen- und Grundwasserkörper geltenden Verschlechterungsverbots – vor Erteilung der behördlichen Zulassung zu prüfen. Art. 6 der UVP-RL sei dahin auszulegen, dass geeignete Unterlagen zu den wasserbezogenen Auswirkungen des Projekts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. Damit die Öffentlichkeit ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen kann, müssen die ihr präsentierten Unterlagen so detailliert sein, dass sie eine Beurteilung im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot ermöglichen.

Bewertung und Auswirkungen für die Praxis

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der EuGH bisher offene Fragen, vor allem über die konkreten Maßstäbe für die Anwendung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbotes bei vorhabenbedingten Einwirkungen auf das Grundwasser, geklärt. Die grundsätzliche Übertragung der bereits für Oberflächengewässer entwickelten Maßstäbe des Verschlechterungsverbots und Verbesserungsgebots auf Grundwasserkörper schafft Rechtssicherheit und ist insoweit zu begrüßen.

Das Urteil zeigt die zunehmende Bedeutung des Wasserrechts, insbesondere der Bewirtschaftungsziele, für eine Vielzahl an Infrastrukturvorhaben. Der Entscheidung kommt eine große Praxisbedeutung zu. Denn sie kann sich prinzipiell auf alle umweltrelevanten (Groß-)Projekte und damit verbundene Klageverfahren auswirken. Vorhabenträger und Zulassungsbehörden werden vor die Herausforderung gestellt, etwaige Beeinträchtigungen von Gewässerkörpern in den entsprechenden Fachbeiträgen dezidiert aufzuarbeiten und bereits im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur Überprüfung durch die Öffentlichkeit zu stellen. Einmal mehr wird daher deutlich, dass eine sorgfältige Planung und die Aufbereitung und Abarbeitung ihrer Folgen das A und O sind, damit die Planung trotz zunehmender Klagefreudigkeit gerade gegen Großprojekte vor Gericht Bestand haben kann.

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Öffentliches Recht und Vergabe, Bauen und Immobilien

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