Zum Inhalt springen

Folgen der Digitalisierung Wir kommunizieren mehr - und werden stummer

Von Tom Buschardt
Smartphone macht stumm: Lieber 20 WhatsApp-Nachrichten schicken, als einmal kurz zu telefonieren

Smartphone macht stumm: Lieber 20 WhatsApp-Nachrichten schicken, als einmal kurz zu telefonieren

Foto: imago

Bemerken Sie auch, dass Kommunikation immer mühseliger und umständlicher wird, obwohl wir sie digital in immer mehr leicht verdauliche Häppchen aufteilen? Einfachste Kommunikationsabläufe, die vor dem Durchbruch des Smartphones 2007 in wenigen Minuten erledigt waren, lösen heute ganze Wellen von Nachrichten aus - und sind dennoch nicht so gut gelöst wie früher.

Tom Buschardt

Tom Buschardt ist seit Ende der 1990er Jahre Medientrainer. Er coacht Vorstände und Politiker für den optimalen Auftritt vor Mikrofon, Kamera und Publikum. Seit 2004 ist er auch Dozent an der Akademie des Auswärtigen Amtes (Interviewtraining). Er arbeitete für zahlreiche Sender der ARD sowie RTL Aktuell und ist Experte für Krisenkommunikation. www.buschardt.de 

Dabei schien mit den internetbasierten Diensten der Knoten geplatzt: Kommunikation wurde nicht nur schneller, sondern auch weniger förmlich und steif. Doch das hat zur Folge, dass selbst Geschäftsbeziehungen heute nicht mehr über Telefon, Brief und Telefax laufen, sondern über Messenger, Instagram, Twitter-Direktnachricht, Mail, Telefon, WhatsApp, Slack und so weiter.

Zusätzlich sorgen Worthülsen aus dem Chatbaukasten der Servicecenter oder KI-generierte Textbausteine für noch mehr Durcheinander. Und das Fatale ist: Wir gewöhnen uns an die holprige Kommunikation im beruflichen Umfeld - weil sie für uns privat schon längst selbstverständlich ist.

Wir verlernen das Telefonieren

Lesen wird vernachlässigt - und das, obwohl wir lieber Mitteilungen schreiben, als mal eben zum Hörer zu greifen. Selbst das Taxi ordern wir inzwischen per App - und der Fahrer steigt noch nicht einmal aus, um an der Haustür zu klingeln. Stattdessen schickt das System eine Nachricht: "Bin jetzt da." Nächster Exzess in naher Zukunft: Sie schreiben dem Chauffeur eine Nachricht: "Stehe jetzt am Kofferraum mit meinem Gepäck, machen Sie bitte auf."

Ist Ihnen aufgefallen, wie sehr wir uns inzwischen auf Telefonate vorbereiten müssen, die früher das Normalste der Welt waren? Weshalb greifen wir nicht einfach zum Hörer und rufen an? "Ja, ich weiß ja nicht, ob ich dann störe." Dabei hat jeder Angerufene die Möglichkeit einfach nicht abzuheben, wenn es gerade nicht passt. Dafür gibt es eine Mailbox oder eine Rückruffunktion.

Anzeige
Buschardt, Tom

Warum wir Kommunikation neu lernen müssen

Verlag: VISTAS Verlag
Seitenzahl: 240
Für 19,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

06.05.2024 01.27 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Dabei ist das direkte persönliche Gespräch durch nichts zu ersetzen. Ohne tatsächliche Interaktion hört niemand mehr aktiv zu, indem er stützende Signale sendet. Viele Menschen versuchen jedoch heute, mit abwechselnd versandten Sprachnachrichten den Druck kürzerer Reaktionszeiten in der direkten verbalen Kommunikation zu umgehen. Am Telefon, im persönlichen Gespräch merkt der Gegenüber sofort, wenn man unsicher ist, wenn die Argumentation schwammig wird, oder einem keine guten Argumente einfallen. Viele Menschen setzt das inzwischen unter Versagensangst, die man mit zeitverzögerter Einwegkommunikation vermeiden kann, zum Beispiel per WhatsApp-Sprachnachricht. Man muss nicht in Echtzeit antworten, sondern kann sich ein paar Minuten Zeit lassen zum Überlegen.

Wir verlernen das Verstehen

Wir verlernen das Verstehen

Dabei ist diese Art von Häppchenkommunikation nur auf den ersten Blick bequemer und sicherer. Langfristig verlernen wir dadurch, in Echtzeit zu reagieren, Informationen auf unterschiedlichen Ebenen wahrzunehmen und richtig zu interpretieren. So ist es beispielsweise beim Verschicken von Kurznachrichten viel schwieriger, zwischen der Sachebene und der emotionalen Ebene eines Gesprächs zu unterscheiden. Missverständnisse können beim direkten persönlichen Kontakt in der Regel in Echtzeit geklärt werden. Warum berauben wir uns immer mehr dieser Möglichkeit?

In der privaten wie der beruflichen Kommunikation greift immer mehr die Unsitte um sich, dass zwei Teilnehmer sich abwechselnd Sprachnachrichten hin- und herschicken, um einen Sachverhalt zu "besprechen", eine Verabredung zu treffen oder ein Problem zu lösen. Aufzeichnen, senden, empfangen, abhören, aufzeichnen, senden, empfangen, abhören… Merken Sie, wie unglaublich das die Kommunikation verkompliziert? Zum Vergleich: sprechen, zeitgleich hören, sprechen, zeitgleich hören, fertig.

Für diese vermeintliche Vereinfachung der Kommunikation mittels Technik nehmen wir in Kauf, weniger Handlungsstränge integrieren zu können als bei einem lebhaften Gespräch. Doch statt die Form der Kommunikation dem Inhalt anzupassen, wählen wir den umgekehrten Weg: Wir vereinfachen die Inhalte. Für einen zweiten Handlungsstrang wird dann eben eine neue Kommunikation initiiert. Die Folge: Wir blicken immer weniger durch, die Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Und weil das so ist und uns gleichzeitig die technischen Neuerungen auf den digitalen Kommunikationskanälen immer mehr das Denken - und damit auch: die Kompetenz! - abnehmen, überlassen wir der künstlichen Intelligenz oder schlau programmierten Kommunikationstools immer größere Bereiche unserer Arbeit. Während wir mehr und mehr verkümmern.

Wir verlernen das Lesen und das Hinterfragen

Wir verlernen das Lesen

In 15, spätestens 20 Jahren werden wir von Menschen regiert werden, die nicht mehr regelmäßig gelesen haben. Ich spreche von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, nicht von E-Mails. Denn Lesen ist nicht gleich Lesen. Das klassische Bücherlesen erfordert und fördert Vorstellungskraft, abstraktes Denken, die konkrete Auseinandersetzung mit den Gedanken eines anderen. Wie wichtig sind solche Fähigkeiten wohl für die Führung eines Landes? Oder konkreter: Welche Folgen hat es für die Welt, wenn im Weißen Haus ein Mann regiert, der am Tag acht Stunden Fernsehen schaut und per Twitter seinen Stab dirigiert?

Trump kommuniziert klar, verständlich, zugespitzt, emotional und für seine (!) Zielgruppe nahezu perfekt. Einfache Worte, wenige Silben, kurze Sätze. Motto: Das Fremdwort ist der Suizid des Populismus. Es schmerzt, das hier so zu schreiben, aber so sind die Fakten.

Wir verlernen das Hinterfragen

Wir stecken längst schon in unseren Filterblasen fest. Dabei ist es doch gerade die Kommunikation über soziale und kulturelle Grenzen hinweg, die eine Gesellschaft prägt. Nur so sind Veränderungen möglich. In meiner Lebenszeit haben sich Dinge, die man früher als gut und richtig eingestuft hat, massiv verändert. Stellen wir uns vor, wir hätten vor einigen Jahrzehnten schon in einer digitalen Blase festgesteckt, dominiert und domestiziert von Algorithmen und unserem Nutzungsverhalten in sogenannten "sozialen" Medien: Ich bin Jahrgang 1966. In "meiner Zeit" durfte in Flugzeugen noch geraucht werden, Frauen mussten ihre Gatten um Erlaubnis fragen, wenn sie ein eigenes Konto eröffnen oder eine Berufstätigkeit ausüben wollten, und Kinder fuhren ungesichert auf dem Rücksitz im Auto mit. Mir graust vor dem nächsten Satz, der jetzt kommt: All das war mal gesellschaftlich und mehrheitlich akzeptiert. Gut, dass wir mal darüber gesprochen und gestritten haben in der Zwischenzeit.

Aktive Kommunikation, die nicht von Apps, Emojis und Erklärvideos geprägt ist, sondern sich durch Interaktivität in Echtzeit auszeichnet, kann gesellschaftliche Prozesse effektiver hinterfragen. Mit vordefinierten Inhalten, einem Leben ausschließlich innerhalb unserer eigenen sozialen Kommunikationsblase findet kein Austausch statt, gibt es keine Anregungen von außen, keine neuen Sichtweisen.

Wir Medientrainer haben in der analogen Kommunikation lange mitgemischt, indem wir unseren Auftraggebern weichgespülte und glattgeschliffene Aussagen antrainiert haben. Dieser Trend kehrt sich gerade um: Kanten geben Konturen. Konturen schärfen das Objekt.

Unsere Gesellschaft läuft Gefahr, dass die aktive Kommunikation ihrer Mitglieder zusehends auf das geistige Niveau putziger Katzenvideos verflacht. Es ist ein beschwerlicher Weg, der da vor uns liegt: Wir müssen die Kommunikationskonturen wieder schärfen. Dies erfordert mehr sprachliche Kompetenz, die wir uns vielerorts erst wieder aneignen müssen. Privat wie beruflich.

Um das zu erreichen bedarf es einer klaren Sprache. Ecken und Kanten müssen sorgfältig herausgearbeitet, Folgen für das eigene Image abgewogen und analysiert werden. Medientrainer können dabei helfen. Sie tragen aber auch eine hohe Verantwortung, denn einen Teil der aktuellen Misere haben sie mitzuverantworten.

Anzeige
Buschardt, Tom

Warum wir Kommunikation neu lernen müssen

Verlag: VISTAS Verlag
Seitenzahl: 240
Für 19,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

06.05.2024 01.27 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Tom Buschardt ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem Buch "Warum wir Kommunikation neu lernen müssen". Es erscheint am 18. Dezember im Vistas Verlag und kostet 19 Euro.