Zwischen Tierdokus und Verschwörungserzählungen: die wundersame Welt von Servus TV

Der Sender Servus TV steht immer wieder in der Kritik.

Der Sender Servus TV steht immer wieder in der Kritik.

Wals-Siezenheim. Am Sonntagabend um kurz nach 22 Uhr und kurz vor dem TV-Comeback von Julian Reichelt öffnet sich der Vorhang für Ferdinand Wegscheider. Der 61-Jährige steht mit einer klimpernden Kasperle-Puppe namens Till im Studio seines Senders Servus TV und muss seine Zuschauerinnen und Zuschauer erst einmal beruhigen.

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Nein, seine beliebte Kolumne sei nicht „still und heimlich“ abgesetzt worden, wie die Zuschriften „treuer Seher“ es schon befürchtet hätten – man habe nur eine Weihnachtspause gemacht.

Die „intensive Mainstream-Kampagne“ gegen den Sender Servus TV habe nicht gefruchtet, meint Wegscheider. Denn: „Still und heimlich abzutreten oder gar in die Knie zu gehen ist unser beider Sache nicht.“ Und das obwohl, das „mediale Establishment“ gerade nur zu gerne versuchen würde, die Corona-Krise zu nutzen, um „mit haltlosen Vorwürfen einen lästigen Konkurrenten loszuwerden“.

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Nach dem Spielfilm wird es laut

In diesem Duktus beginnt die wöchentliche Kolumne des Servus-TV-Senderchefs – und genau in diesem Duktus geht sie noch rund acht Minuten weiter. Und der „treue Seher“, den Wegscheider ganz zu Anfang seiner Sendung adressiert, dürfte zu diesem Zeitpunkt längst aus seinem Schaukelstuhl aufgeschreckt sein.

In der Primetime läuft an diesem Sonntagabend auf Servus TV die französische Filmkomödie „Parfum des Lebens“. Ziemlich leichte Abendunterhaltung mit Emmanuelle Devos und Grégory Montel, um einen Chauffeur in einer Lebenskrise und eine Geruchsberaterin. Der perfekte Film also, um am Sonntagabend entspannt vor dem Fernseher einzudösen.

Dann aber, kurz nach dem Abspann, wird es laut – und stellenweise ziemlich bizarr. Das Intro von Wegscheiders Wochenkolumne erscheint. Es zeigt einen Wegweiser in Form einer Eule, auf deren Flügeln „Sinn“ und „Unsinn“ steht – Wegscheider springt von links nach rechts und dann in Form einer Kasperle-Figur in die Mitte. Nur um dann in schärfster Rhetorik minutenlang loszupoltern.

Gegen „Gender-Wahn und Political Correctness“

Schon seit Jahren werde der österreichische TV-Sender schlechtgeredet, beklagt er in der aktuellen Ausgabe. „Und wer es wie ich auch noch wagt, regelmäßig die Religionen der Political Correctness, den Gender-Wahn oder gar die Klimahysterie kritisch zu hinterfragen, kann ohnehin nur ein Rechtsextremer sein.“

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Im weiteren Verlauf geht es dann um alle möglichen Themen, bei denen sich Servus TV erfolgreich dem Mainstream entgegengestellt habe. Etwa bei der Frage um die Sicherheit der Corona-Impfstoffe, bei denen es sich nach Ansicht Wegscheiders um „Gentherapien“ handele und von denen „viele teils schwere Nebenwirkungen“ hervorriefen. Das Gegenteil ist der Fall.

Jeder, der das anzweifele, poltert Wegscheider weiter, werde jedoch nach dem „Vorbild totalitärer Staaten gnadenlos attackiert und diffamiert“. Mithilfe von „Experten, Politikern und Zensurbeauftragten, die sich neuerdings selbst ‚Faktenchecker‘ nennen“. Wegscheider nennt das ein „Propagandakartell“.

Feinste Rechtsrhetorik

Und obwohl sich der Senderchef laut eigener Aussage nicht gerne in die Ecke von Rechtsextremen stecken lässt, so nutzt er dennoch ihre Rhetorik par excellence. Eine Rhetorik, wie sie sonst in einschlägigen Telegram-Gruppen zu lesen und hören ist.

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Wenn Medien kritisch über diese Rhetorik und diese Sendung berichten, dann handelt es sich laut Wegscheider um eine „Kampagne“, hinter der nur der Plan des „Establishments“ stecke, seinen Sender zu diffamieren oder einzuschüchtern oder ihm gleich ganz den Stecker zu ziehen.

Kritische Journalistinnen und Journalisten sind für Wegscheider derweil „Erfüllungsgehilfen“ oder „tapfere Schreiberlein“, die seinen Sender „anpatzen“ – und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist natürlich nicht mehr als ein „Staatsfunk“.

Falschbehauptungen über Corona

Wenn es in der Kolumne mal nicht um Wegscheider und Servus TV selbst geht, dann kommentiert der Senderchef am liebsten Nachrichten zur Corona-Pandemie, seit Kurzem vor allem zur Impfung. Die mRNA-Impfstoffe sind laut Wegscheider beispielsweise „Genspritzmittel“ oder eine „mangelhaft erprobte genveränderte Substanz“, was schlichtweg nicht stimmt. Das Entwurmungsmittel Ivermectin helfe erfolgreich gegen Covid-19 – tatsächlich ist das Mittel für Menschen hochgiftig. Und kritische Experten würden laut Wegscheider unterdrückt, ebenso wie neuerdings auch Ungeimpfte.

Wegscheiders wöchentlicher Rundumschlag ist inzwischen ein Fall für die österreichische Medienbehörde KommAustria. Die Journalistenorganisation Presseclub Concordia hatte dort im Dezember Beschwerde eingereicht, wegen „falscher oder irreführender Äußerungen“ im Rahmen der Kolumne „Der Wegscheider“. Der Presseclub beklagt „einseitige und unsachliche Ausführungen und durch unzulässige Eingriffe in die Rechtssphäre von Dritten“.

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Das Sendungsdesign und der Sendeplatz am Samstag kurz vor 19.30 Uhr würden suggerieren, es handele sich bei „Der Wegscheider“ um eine ernst zu nehmende Informationssendung, die auf Fakten beruhe, so der Presseclub. Tatsächlich aber würden „durch rhetorische Figuren, audiovisuelle Stilmittel, Unterstellungen sowie Anspielungen auf im kollektiven Bewusstsein verankerte Stereotype und Verschwörungserzählungen Behauptungen in den Raum gestellt, die den Anforderungen an Rundfunk im Allgemeinen und Informationssendungen im Besonderen nicht genügen.“

Ist das noch Meinung?

Mit eben diesen Äußerungen werde nach Ansicht des Presseclubs „die Öffentlichkeit verunsichert, beunruhigt, aufgestachelt und gespalten, die Glaubwürdigkeit von Politik, Wissenschaft und Medien untergraben und in unserer Ansicht nach unzulässiger Weise in Sphäre und wohl auch Rechte Dritter eingegriffen“.

Wegscheider selbst ließ das in seiner Sendung natürlich nicht unkommentiert. Bei seiner Kolumne handele es sich ausdrücklich um einen Kommentar, sagt er in der letzten Ausgabe vor dem Jahreswechsel. Also nicht um Berichterstattung, sondern um eine persönliche Meinung. Ähnlich argumentiert auch die Servus-TV-Pressestelle auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND): In Wegscheiders Kommentar würden Themen „ironisch überzeichnet“. Es entspreche „nicht der Wahrheit, dass Ferdinand Wegscheider in seinen wöchentlichen Kolumnen ‚regelmäßig Fehlinformationen‘ verbreitet“.

Concordia-Präsidentin Daniela Kraus kontert bei der „Tagesschau“: „Selbstverständlich schützt die Pressefreiheit Meinungen. Das ist ganz wichtig, und das ist uns auch ganz wichtig. Aber auch bei einer Meinung, einem Kommentar oder sogar bei einer Satire darf die Kernaussage nicht falsch sein.“

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Als sich Redbull einen Fernsehsender kaufte

Die Beschwerde bei der Medienbehörde ist der vorläufige Höhepunkt einer langen und oftmals unrühmlichen Geschichte des österreichischen Senders Servus TV.

Auf Sendung geht er erstmals im Jahre 1995, damals noch unter dem Namen Salzburg TV. Mitgründer des Senders damals schon: Ferdinand Wegscheider. Im Jahr 2007 dann steigt das österreichische Brauseunternehmen Redbull bei dem Regionalsender mit ein. Ein Jahr später verlassen die Gründer ihren Sender und überlassen das Feld vollends Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz und seinem Medienimperium.

Auf Servus TV wirkt sich der Eigentümerwechsel zunächst nur mäßig aus. Die Quoten sind mittelmäßig, das Programm besteht vor allem aus kuscheligen Heimatsendungen, Naturdokumentationen, Reisereportagen und Tierdokus. Der inhaltliche Anstrich des Senders ist eher öffentlich-rechtlich als krawallig.

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Und dann kam die Flüchtlingskrise

Auch Sportrechte sichert sich der Sender. Talkformate wie „Talk im Hangar 7″ werden gelobt, ebenso wie eine Reportage über erschreckende Zustände in Flüchtlingsquartieren, die 2014 sogar mit dem Robert-Hochner-Preis für politische Berichterstattung ausgezeichnet wird.

Mit der Flüchtlingskrise allerdings wendet sich das Blatt zunehmend. Red-Bull-Boss Mateschitz äußert sich in Interviews rechtspopulistisch, Partner des Unternehmens ziehen ihre Konsequenzen und beenden die Zusammenarbeit. Und im Jahr 2016 folgt dann das Comeback von Ferdinand Wegscheider als neuer Intendant des Senders.

Neben kuscheligen Heimatsendungen und Naturdokus reihen sich fortan auch immer wieder auch kontroverse Formate ein – mit ebenso kontroversen Gästen. In der Sendung „Talk im Hangar 7″ soll beispielsweise ein Thema mit dem Titel „Wie gefährlich sind unsere Muslime?“ diskutiert werden. Eingeladen ist auch Götz Kubitschek, Vorreiter der Neuen Rechten in Deutschland – woraufhin alle drei anderen Gäste ihre Teilnahme an der Sendung absagen. 2019 darf auch Identitären-Chef Martin Sellner ausführlich in einer Talksendung von Servus TV sprechen.

Neue Zielgruppe entdeckt

Nach immer neuen Schlagzeilen und internen Disputen – etwa der geplanten Einstellung des Senders nach der Debatte um die Gründung eines Betriebsrats – ist das neueste Kapitel von Servus TV nun die Corona-Pandemie.

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Hier hat der Sender eine neue Zielgruppe für sich entdeckt, die im Programm immer wieder einen Platz findet: Kritiker der Corona-Maßnahmen, Impfgegner, Verschwörungsideologen. So durfte lange Zeit etwa der Corona-Verharmloser Sucharit Bhakdi regelmäßig bei Servus TV auftreten und Fragen beantworten.

Senderchef Wegscheider liefert derweil in seiner Kolumne die passenden, raunenden Kommentare dazu. Am 27. November beispielsweise zur Impfpflicht in Österreich: „Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen und sogar Kleinkindern Rechte wegzunehmen, die wir bisher jedem Schwerverbrecher zugestanden haben“, heißt es da etwa.

Applaus bei Telegram

Eine Sprecherin von Servus TV erklärt auf RND-Anfrage, bei Wegscheiders Sendung handele es sich um ein „Satire-Format“. Man könne die Aussagen „überzogen finden, mit Rechtspopulismus oder rechter Rhetorik haben sie nichts zu tun.“

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Wie auch immer man Wegscheiders Aussagen nennen mag: Bei der Zielgruppe kommen sie jedenfalls an. Die Kolumnen des Senderchefs verbreiten sich regelmäßig auf Plattformen wie Facebook und Telegram, werden von Verschwörungsfans kommentiert und gerne weitergeleitet.

Und auch dem wirtschaftlichen Erfolg hat der Kurswechsel des Senders genützt. Laut Pressestelle von Red Bull hat sich der Marktanteil in Österreich von 2,1 Prozent im Jahr 2017 auf 3,6 Prozent im Jahr 2021 erhöht. Seit 2020 ist Servus TV der quotenstärkste Privatsender Österreichs.

Ein deutschsprachiges Fox News?

Laut dem Medienberater Peter Plaikner hat das auch mit dem ungewöhnlichen Mix im Programm zu tun: Heimatsehnsucht, Sport und eine Kampagne gegen den intellektuellen Mainstream – das sei das Rezept, so Plaikner gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Ein „ausgeklügeltes“ Konzept eben.

In der Branche wird seit Längerem gemunkelt, Wegscheider und Mateschitz wollten Servus TV langfristig zu einer Art deutschsprachigem Fox News umbauen – dem US-Rechtsaußensender, der Donald Trump während seiner Amtszeit massiv unterstützt hatte. Auch Fox News schreckt nicht davor zurück, in seinen abendlichen Meinungsformaten immer wieder Falschmeldungen zu verbreiten – während das nachrichtliche Tagesprogramm des Senders durchaus als seriös angesehen werden kann.

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Trumps Lieblingssender: Was hinter dem Phänomen Fox News steckt

Was ist das für eine merkwürdige Beziehung zwischen einem Nachrichtenmedium und dem US-Präsidenten?

Für Servus TV wäre die Schlagrichtung durchaus ein naheliegendes und vermutlich lukratives Konzept. Tagsüber plätschernde Tierdokus, abends Futter für die „Querdenker“-Fraktion. Ob es wirklich so kommt? Auf RND-Anfrage erklärt der Sender: „Das ist schlichtweg Unsinn.“

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