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Deutsche Finanzagentur: Das mysteriöseste Unternehmen Deutschlands


Das mysteriöseste Unternehmen Deutschlands

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 02.06.2022Lesedauer: 5 Min.
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Blick auf das Gebäude der Deutschen Finanzagentur.Vergrößern des Bildes
Blick auf das Gebäude der Deutschen Finanzagentur. (Quelle: Screenshot/Google Street View)

Finanzminister Christian Lindner muss für das Bundeswehr-Sondervermögen neue Schulden machen. Dafür braucht er eine Staatsfirma, die in Deutschland kaum einer kennt – bis auf einige Verschwörungserzähler.

Von außen wirkt das Gebäude ziemlich unscheinbar. Viel Stahl, viel Glas, moderne Architektur mit fünf angegliederten Türmen – ein Bürohaus, wie es überall in Deutschland stehen könnte. Hinter der Fassade jedoch verbirgt sich etwas, das dieser Tage besonders wichtig wird: die Deutsche Finanzagentur GmbH.

Das Unternehmen mit Sitz im Norden von Frankfurt gehört zu 100 Prozent dem Staat und beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. Seine Aufgabe: Deutschlands Schulden verwalten, neue Kredite aufnehmen, alte umwälzen, Zinsen bezahlen.

Was dröge klingt, heißt konkret: Ohne die Finanzagentur gibts für Finanzminister Christian Lindner (FDP) kein frisches Geld. Gerade jetzt, wo die Bundesregierung das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro aufsetzen will, kommt der Finanzagentur also eine Schlüsselrolle zu. t-online erklärt, was hinter dem Unternehmen steckt und wie sich der Staat mit ihr Kredite besorgt.

Wie leiht sich der Staat Geld?

Letztlich ganz ähnlich wie Sie als Verbraucher, nur in deutlich größeren Dimensionen. Der Staat gibt dafür Anleihen aus, also einen Schuldschein, für die er dann einen Kredit bekommt. Vergangenes Jahr gab es 120 Emissionen von Anleihen.

Diese Anleihen kaufen wiederum Investoren, Banken oder die Europäische Zentralbank (EZB) auf. Dadurch leihen sie dem Staat Geld, der ihnen dafür einen Zins zahlt. Auch Sie als Privatanleger können Anleihen kaufen und damit quasi dem Staat frisches Geld verschaffen. Wie das geht, lesen Sie hier.

Eine beliebte Möglichkeit in der Vergangenheit waren die Bundesschatzbriefe. Bis Ende 2012 gab der Bund diese Wertpapiere aus, das Risiko für Anleger war sehr niedrig. Gleichzeitig stieg der Zinssatz über die Laufzeit hinweg an. Aus Kostengründen stellte der Bund die Schatzbriefe aber ein.

Niedrigzinsen verbilligen Schuldenmachen

Allerdings verdient der Bund seit Jahren sogar Geld beim Schuldenmachen – weil die Zinsen auf seine Schulden negativ sind. Investoren leihen dem Staat auch für Negativzinsen Geld, weil sie wissen, dass sie die Summen auch wieder zurückbekommen. Denn der Bund hat eine erstklassige Bonität. Das bewerten wiederum sogenannte Rating-Agenturen wie S&P, Fitch oder Moody's.

Auch das kennen Sie als Verbraucher: Auskunfteien wie die Schufa prüfen Ihre Zahlungsfähigkeit, wenn Sie beispielsweise einen Kredit aufnehmen. Haben Sie in jüngster Zeit Rechnungen nicht oder zu spät bezahlt, kann es sein, dass die Schufa Sie zurückstuft. Dann bekommen Sie keinen oder nur einen teureren Kredit.

Was macht die Finanzagentur?

Die Deutsche Finanzagentur ist für das Schuldenmanagement und die Kreditaufnahme des Bundes zuständig. Sie tritt daher auch stets am Markt im Namen der Bundesrepublik auf – und nicht als eigenständiges Unternehmen.

Die heute vom Bundestag kontrollierte Institution kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Schon zum Jahr 1820 war das Königreich Preußen auf die Idee gekommen, für die Schuldenverwaltung eine "ganz abgesonderte Behörde" zu gründen.

Über die Reichsschuldenverwaltung (1900) und die Bundesschuldenverwaltung (1949) bekam die Institution am 19. September 2000 ihre heutige Rechtsform und den freundlicheren Namen "Finanzagentur".

Sprecherin: Darum ist die Finanzagentur keine Behörde

Doch warum ist die Finanzagentur als privatwirtschaftliche Gesellschaft organisiert – und nicht etwa als Behörde? Eine Sprecherin erklärt das auf t-online-Anfrage so: "So können wir schnell auf wechselnde Anforderungen des Finanzmarktes reagieren."

Damit meint sie etwa die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg – also Ereignisse, die mehr Schulden erfordern. Eine Behörde arbeitet insgesamt behäbiger, da hier die Abläufe und Strukturen anders sind.

Doch die Organisation als Unternehmen bringt auch Kuriositäten mit sich. So behaupten Verschwörungstheoretiker unter anderem mit Verweis auf die Finanzagentur bisweilen, die Bundesrepublik Deutschland sei ein Unternehmen – und kein Staat. Denn der volle Name der Finanzagentur lautet "Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH". Dass solche Behauptungen einer "Deutschland GmbH" unwahr und schnell widerlegbar sind, stört die Erzähler meist wenig.

Wie funktioniert das Geldleihen genau?

Platziert die Finanzagentur neue Wertpapiere am Markt, setzt sie ein sogenanntes Tenderverfahren in Gang. In seiner entscheidenden Phase läuft ein solcher Prozess ab wie eine Auktion. 3,5 Stunden lang, in der Regel von 8 Uhr bis 11.30 Uhr an bestimmten Tagen, kann ein fester Kreis von Bietern Gebote abgeben.

Machen können sie das im "Bund Bietungs-System", einer von der Deutschen Bundesbank betriebenen elektronischen Handelsplattform. Anschließend werden die Gebote von den Experten der Finanzagentur bewertet und für die Zuteilung vorbereitet.

Die Bieter, derzeit 32 Banken auf der ganzen Welt, reichen ihre Gebote auf elektronischem Weg ein: Entweder sogenannte Billigstgebote, wenn sie zum aktuellen Durchschnittskurs einen bestimmten Anteil der Papiere kaufen wollen. Oder Kursgebote, in denen ein Höchstpreis genannt wird, bis zu dem sie bereit sind zu kaufen.

Auktionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Am Ende der Auktion errechnet ein Computer dann aus dem Strauß der Angebote verschiedene Alternativen für die Zuteilung der Anleihen. Die Entscheidung, welche Variante zum Zug kommt – das heißt, mit welchem Preis die Papiere ausgegeben werden und damit, welcher Bieter wie viele Anteile an der Emission erhält – fällt letztlich eine Runde von Experten der Finanzagentur. Das Gremium stimmt sich dazu mit der Bundesbank und dem Bundesfinanzministerium ab.

Unmittelbar nach Ende des Tenderverfahrens wird das Ergebnis bekannt gegeben, die Käufer erhalten ihre Bundesanleihen und der Bund seine Milliarden. Falls es eine Differenz geben sollte, also zu wenige Bieter sich für eine Anleihe interessieren, kann der Bund über Banken am sogenannten Sekundärmarkt aktiv werden. Das meint nichts anderes als die Börse. Hier sind die Papiere auch für andere Investoren täglich handelbar, auch Privatpersonen können die Anleihen kaufen und so dem Staat Geld leihen.

Über die Schulter schauen lässt sich die Finanzagentur bei den Auktionen grundsätzlich nicht. Das gebiete das Geschäftsgeheimnis und das wollten auch die Bieter nicht, heißt es dazu in dem Frankfurter Unternehmen.

Wann ist das Geld auf dem Staatskonto?

Nach Ende des Tenderverfahrens. Bis es aber tatsächlich beim Staat angekommen ist, vergehen in der Regel zwei Tage.

Dieser Zyklus nennt sich in der Finanzsprache "t+2". Der Grund: Die Wertpapiere werden innerhalb von zwei Tagen nach Emission abgewickelt.

Wie zahlt der Staat das Geld zurück?

In der Regel nimmt der Staat neue Schulden auf, um seine alten zu begleichen. Das heißt: Läuft eine Anleihe aus, und die Gläubiger wollen ihr Geld haben, begibt der Bund eine neue Anleihe.

Das nennt sich Refinanzierung. In der Konsequenz bedeutet das, dass der Bund jedes Jahr neue Anleihen auf den Markt wirft – selbst wenn er seine Schulden aus Steuermitteln tilgen kann.

Das war etwa 2017 der Fall. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) tilgte Altschulden mit dem zuvor erwirtschafteten Überschuss von knapp acht Milliarden Euro. Doch auch Privatpersonen können dies tun, mit dem sogenannten Schuldentilgungskonto des Bundes. Lesen Sie hier mehr dazu.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Deutsche Finanzagentur
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