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Politik

Seltsames Verständnis von Toleranz in der Berliner SPD

Partei distanziert sich nicht von Islamisten-Predigern

Mit Islam-Vertretern, die unter Extremismusverdacht stehen, hat man in der Berliner SPD offenbar wenig Berührungsängste. Gleichzeitig fällt es der Partei schwer, islamistischen Terrorismus klar als solchen zu benennen. Das wurde 2017 auf zwei Gedenkveranstaltungen anlässlich des Attentats von Anis Amri auf dem Breitscheidplatz ein Jahr zuvor deutlich. Ende Dezember hielt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller auf einer Gedenkveranstaltung eine Rede zur Erinnerung an die Opfer.

Neben ihm sprach auch Mohammed Matar, ein Jugendseelsorger der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin-Neukölln, die im aktuellen Verfassungsschutzbericht unter dem Abschnitt „legalistischer Islamismus“ erwähnt wird. Eingeladen hatte ihn die evangelische Kirche. Vor allem ein Facebook-Eintrag Matars löste Kritik aus. So postete er das Foto einer erschossenen palästinensischen Terroristin und kommentierte: „So friedlich, wie du da zu liegen scheinst, bin ich mir sicher, dass deine Seele gerade jeden Frieden und jede Barmherzigkeit erfährt.“ Mittlerweile wurde der Beitrag gelöscht. Von Matar kursierten bereits vor einigen Jahren Fotos, auf denen er die „Rabia-Geste“ zeigt. Diese gilt als Erkennungszeichen der islamistischen Muslimbrüder, denen laut Verfassungsschutz auch die Dar-as-Salam-Moschee insgesamt nahestehen soll.

Bereits im März 2017 trat Müller bei einer Veranstaltung zum Breitscheidplatz-Anschlag mit Imam Mohammed Taha Sabri auf, der ebenfalls zur Dar-as-Salam-Moschee gehört. „Als Imam, als Muslim, als Mensch kann ich ihnen versichern, dass nichts von dem, was die Terroristen da anrichten, etwas mit dem Islam gemein hat“, sagte Sabri da. Er hatte aber in der Vergangenheit wiederholt islamistische Prediger in seine Moschee eingeladen, darunter Muhammad al-Arifi aus Saudi-Arabien. Trotz Einreiseverbots nahm dieser 2013 eine Einladung wahr. Zudem nimmt Sabri immer wieder an Veranstaltungen der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland teil, die der Terrororganisation Hamas nahesteht. 2015 verlieh Michael Müller dennoch den Verdienstorden des Landes Berlin an den Imam. „Seiner Meinung nach lässt sich das Bekenntnis zu demokratischen Werten aus dem Koran ableiten – Hass, Gewalt und Terrorismus hingegen seien mit dem Koran nicht vereinbar“, hieß es in der Begründung für die Ehrung. Wie Sabri vermeidet auch Senatschef Müller, den islamistischen Anschlag am Breitscheidplatz mit dem Islam in Verbindung zu bringen. In einer Pressemitteilung zur Kundgebung Ende Dezember spricht der Politiker nur von einer „unmenschlichen Tat“. Die Wörter „Islam“ oder „islamistisch“ kommen nicht vor.

„Kein Mensch kann übersehen, dass die Terroristen bei ihren Taten ,Allahu Akbar‘ rufen und islamische Gottesstaaten errichten wollen“, sagt hingegen die liberale Berliner Imamin und Rechtsanwältin Seyran Ates. „Das hat mit unserer Religion zu tun.“ Kürzlich hatte sich die Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee auf Facebook darüber beklagt, zu keiner der Gedenkveranstaltungen eingeladen worden zu sein. Die Politiker hätten Angst vor einer Konfrontation mit den konservativen Islamverbänden. „Vor allem große Teile der linken Parteien solidarisieren sich mit ihnen aus Angst, als rassistisch zu gelten.“ Dahinter stecke auch eine Art Selbsthass, ja Verachtung für die eigene Kultur. Seit die Rechtsanwältin Ende Juli gemeinsam mit anderen reformorientierten Muslimen das Gotteshaus aus der Taufe gehoben hatte, bekommt sie Morddrohungen und wird von radikalen Muslimen als „unislamisch“ bezeichnet. Viele Politiker seien „sehr feige“, findet Ates. Sie drückten sich davor, islamistischen Terror als solchen zu benennen aus Angst, in die rechte Ecke gerückt zu werden. „Man hätte uns wenigstens aus Höflichkeit eine Einladung schicken können.“ Dass dies nicht passiert ist, sei „ein klares politisches Signal“. Michael Müller persönlich wird von Ates in dieser Hinsicht aber in Schutz genommen: Er habe sich wiederholt solidarisch mit ihrer Reformmoschee erklärt.

Anders sei das in der Debatte über die neu einzurichtende Islamische Theologische Fakultät an der Berliner Humboldt-Universität gewesen. Im Abgeordnetenhaus wurde darüber abgestimmt, ob die von Ates’ mitgegründete Moschee dem Beirat angehören sollte. „Eine nicht unerhebliche Anzahl von Linken, Grünen und SPD war dagegen. Sie konnten die anderen überstimmen.“ Daher plane sie nun mit ihren Kollegen, ein eigenes Islaminstitut zu gründen, „da wir in Berlin von den linken Parteien keine große Unterstützung zu erwarten haben“. Man stehe „für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Hasspredigern und Islamisten“, teilt die Berliner SPD auf Anfrage mit. Eine Sprecherin verweist auf das Regierungsprogramm, in dem es heißt: „Wir werden extremistische islamistische Moscheen schließen und ihre Finanzierung unterbinden.“ Müller habe Ates immer unterstützt. Die Kritik der Reformimamin richtet sich vor allem gegen Martin Germer, den Pfarrer der Berliner Gedächtniskirche am Breitscheidplatz. Dieser trat im März ebenfalls gemeinsam mit Sabri bei der Gedenkveranstaltung zum Amri-Attentat auf. Er sei anders als Müller „ein Überzeugungstäter“. Ates sagt: „Er argumentiert, wir hätten keinen Rückhalt in der islamischen Community. Seine Solidaritätsbekundungen mit der Dar-as-Salam-Moschee sprechen für sich.“

Er wolle niemanden ausgrenzen, sagt Germer auf WELT-Anfrage. Die Dar-as-Salam-Moschee werbe in der islamischen Community für ein gewaltloses Islamverständnis und sei ein guter Ansprechpartner für ihn. „Ich habe das Gefühl, dass sich Frau Ates und ihre Mitstreiter immer wieder sehr kritisch gegen alle konservative Muslime positionieren, was die gemeinsame Arbeit erschwert“, sagt Germer. Im Übrigen sei auch er der Auffassung, dass der Terrorismus mit dem Islam zu tun habe. Nur dürfe es keine Pauschalisierung geben.

Das Bündnis „Berlin gegen Islamismus“, das als Reaktion auf die offizielle Gedenkkundgebung Ende Dezember eine eigene Veranstaltung abhielt, übt Kritik am rot-rot-grünen Senat. Die Rede ist von „Heuchelei – öffentliches Gedenken auf der einen, Kooperation mit verfassungsfeindlichen Islamisten auf der anderen Seite“. Schon die Inschrift auf dem kürzlich enthüllten Denkmal für die Opfer des Amri-Anschlags verschleiere den islamistischen Hintergrund. „Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016. Für ein friedliches Miteinander aller Menschen“ steht auf der obersten Treppenstufe. „Statt das Problem der islamischen Radikalisierung anzugehen, … belässt man es bei Friedensappellen und betreibt routinierte Gedenkpolitik – gemeinsam mit Islamisten.“

Die Dar-as-Salam-Moschee bestreitet die Islamismusvorwürfe und spricht vom „Versuch einer Stimmungsmache“. So sei etwa Matars Rabia-Geste 2013 nur ein Zeichen der Solidarität mit dem damals gestürzten ägyptischen Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi und dessen Anhängern. „Diese Form von Protest brachte keineswegs eine unkritische Betrachtung der Muslimbruderschaft mit sich oder zeigt die eigene Zugehörigkeit zu dieser“, schreibt die Moschee in einer Stellungnahme. „Die Muslimbruderschaft hat zu Zeiten ihrer Regierung in Ägypten sicherlich vieles falsch gemacht und Pressefreiheit, Pluralismus und Demokratie eingeschränkt, wie wir dies nicht gutheißen.“ Und dass Sabri die hamasnahe PGD besucht habe, sei kein Beleg, „dass er selbst Teil von PGD und Hamas und was auch immer ist“.

Durch ihren Umgang mit dem Islamismus erzürnt die SPD auch eigene Mitglieder. So verließ Erol Özkaraca im Frühjahr 2017 die Partei nach über zwei Jahrzehnten. Das Ex-Mitglied des Abgeordnetenhauses zog damit die Konsequenz aus der Gedenkveranstaltung mit Sabri im März. Auf Facebook beklagte Özkaraca „die Manifestierung eines … zu toleranten Umgang(s) mit dem politischen Islam und Islamisten“. Damit verliere die SPD „die Unterstützungen von vielen säkularen Muslimen, Juden und vielen anderen“. Sein Kampf für eine eindeutige Abgrenzung der Partei sei „vollkommen erfolglos“.

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