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Meinung Coronakrise

Jetzt zeigt sich deutlich der Charakter jedes Menschen

Autorenfoto NEU Johannes Boie Chefredakteur WamS WELT am Sonntag Autorenfoto Autorenfoto NEU Johannes Boie Chefredakteur WamS WELT am Sonntag Autorenfoto
Autor Johannes Boie ist Chefredakteur von WELT AM SONNTAG
Quelle: Martin U.K. Lengemann
In der Notlage werden die schlechten Eigenschaften mancher Zeitgenossen offenkundig: Da sind die Zyniker, die chronischen Lügner, die Verantwortungslosen. Doch auch die Großartigkeit vieler Menschen wird sichtbar.

Die Krise wirkt für den Charakter der Menschen und die Zustände im Land wie ein Brennglas. Plötzlich sieht und erlebt man vieles überdeutlich.

Da sind die Zyniker, wie die Politikwissenschafts-Professorin Ulrike Guérot, die die Krise „als Chance zur Entschleunigung“ sieht oder die Berlinerin Meike Lobo (Ehefrau des Kolumnisten Sascha Lobo, sie publiziert ebenfalls), die in Anbetracht der Pandemie mitteilte, „dass alte Menschen sterben“ sei einer der „gesündesten Vorgänge der Welt“. In dieselbe Kategorie fällt eine Satire von Funk, einem Angebot des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, in der es über das Virus heißt: „Es rafft die Alten dahin ... das ist nur gerecht, immerhin hat die Generation 65+ den Planeten an die Wand gefahren.“

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Da sind die chronischen Lügner, wie die TV-Moderatorin, die im türkischen Fernsehen behauptete, türkische Gene seien immun gegen das Virus. Oder der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der das Corona-Virus als „Fantasie“ bezeichnete. Mittlerweile sind enge Mitarbeiter von ihm erkrankt.

Und wer bislang ein entscheidungsschwacher Politiker war, wie zum Beispiel der Berliner Oberbürgermeister Michael Müller (SPD), der bleibt das in der Krise. Der Unterschied ist: Bislang hat die miserable Führung der Stadt zum Beispiel dazu geführt, dass sich Kriminelle in ihr wohlfühlen. Jetzt aber entscheidet eine Frage wie die, ob Clubs und Kneipen früher oder später geschlossen werden, darüber, ob sich mehr oder weniger Menschen anstecken und womöglich sterben werden.

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Der Berliner Senat hat im Rahmen einer Pressekonferenz über den aktuellen Stand zur Corona-Krise informiert. Mit diesen neuen Maßnahmen will der Regierende Bürgermeister Michael Müller die Ausbreitung bekämpfen.

Quelle: WELT

So weit, so bitter. Doch unterm Brennglas der Krise tritt auch die Großartigkeit vieler Menschen viel klarer hervor als bislang. Ich denke an die Ärzte, von denen die allermeisten stoisch, schicksalsergeben, präzise und mutig ihren Job machen, ebenso an die Pfleger und Schwestern. Seit Jahren sind sie die Leidtragenden eines reformbedürftigen Gesundheitssystems, es fehlt an Materialien und Personal. Trotzdem sind sie für uns alle da.

Ich denke an den Italiener, der in Quarantäne auf dem Balkon ein Lied anstimmte, in das ein halber Ort durch geöffnete Fenster einstimmte. An die Jugendlichen, die Vorerkrankten und Älteren anbieten, Einkäufe zu besorgen. Ich denke an die Musiker, die Gratiskonzerte im Internet geben, damit wir alle mal auf andere Gedanken kommen, an die Verkäufer in den Supermärkten, die eine Packung Toilettenpapier nach der anderen an Kunden verkaufen, von denen sie nicht wissen, ob sie nicht auch infiziert sind. Sie alle sind Stützen der Gesellschaft in schwierigen Zeiten. Wir alle können es ebenfalls sein, jeder nach seiner Möglichkeit, jeder nach seiner Fähigkeit. Und alle am besten ohne direkten Kontakt, denn darauf kommt es jetzt an. Auch wenn es schwerfällt.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: WELT AM SONNTAG

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