Bevor Leah sich auf den Weg zum Rathaus macht, sagt ihr Vater zu ihr: Pass auf, die verhaften Leute.

Es ist Samstag, der 6. Juni, in mehreren Städten in Deutschland demonstrieren an diesem Tag Tausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt, auch in Hamburg. Die erste Demo am Jungfernstieg beginnt um 14 Uhr, schon vorher ist es dort so voll, dass die U-Bahnen an mehreren Haltestellen einfach durchfahren. Der Tag der Demonstrationen ist auch ein normaler Samstag während Corona. 525 Menschen sind für die Versammlung genehmigt, es kommen 14.000.

Die Veranstalter hatten einen stillen Protest angekündigt. Mit Schweigeminuten und Plakaten, ohne Sprechchöre, alles sollte friedlich bleiben.

Weil die Kundgebungen am Jungfernstieg und auf dem Rathausmarkt viel zu groß sind, werden beide kurz nach ihrem Beginn für beendet erklärt. Die Teilnehmer bekommen davon nichts mit. Sie bleiben und hören sich Wortmeldungen an, sie rufen "I can't breathe" und "No justice, no peace". Die Polizei duldet die Demonstration zunächst. Obwohl sie offiziell abgesagt ist, dürfen die Demonstrierenden bis 18 Uhr auf dem Platz bleiben. Die meisten tragen Mundschutz, nur der vorgeschriebene Abstand ist nicht immer möglich.

Zu den Demonstrierenden gehören Leah und ihre Freundin Andrea, beide sind 20 Jahre alt, haben vergangenes Jahr ihr Abitur gemacht. Sie kommen aus Hamburg, gehören zur schwarzen Community und heißen eigentlich anders. Wenige Stunden später gehören sie zu den 36 Menschen, die von der Polizei in Gewahrsam genommen werden. Auf Twitter gibt es viele Videos von ihnen: wie sie mit dem Gesicht zur Wand stehen und sich mit den Händen abstützen. Vor den jungen Menschen stehen mindestens ebenso viele Polizisten. Weder Leah noch Andrea wissen bis heute, warum sie festgehalten wurden.     

Den Rathausmarkt hätten sie verlassen, als die Kundgebung um 18 Uhr vorbei war, erzählt Leah. Gemeinsam mit anderen, aber immer auf Abstand und darauf bedacht, nur in Zweiergruppen zu laufen. Immer wieder treffen sie Freunde, die sie lange nicht gesehen haben, sie sprechen über die Demo und darüber, wie es ihnen geht. "Wir waren länger in der Gegend", sagt Leah, "aber nicht mehr auf dem Platz." Sie sehen, wie Flaschen fliegen und Vermummte an ihnen vorbeilaufen.

Als sie am Hauptbahnhof ankommen, ist es kurz vor 20 Uhr. Sie überlegen, wo sie essen gehen, ob beim Inder oder beim Türken. Immer wieder beobachten sie, wie Polizisten und Vermummte einander gegenüberstehen und aufeinander losgehen. "Das war wie eine Jagd", sagt Leah und Andrea ergänzt: "Die Beamten sahen aus, als würde ihnen das Spaß machen. Die Geräusche klangen wie von wilden Tieren." Am Bahnhof angekommen überlegen sie noch, ob sie lieber den Umweg durch die Wandelhalle nehmen sollen, anstatt am Steintordamm entlang zu laufen, vorbei an den parkenden Polizeiautos. "Aber warum?", sagt Leah. "Wir hatten ja nichts gemacht."