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Corona-Pandemie doch ein Unfall? "Man kann so ein Virus im Labor erzeugen"

Das Institut für Virologie Wuhan - begann die Corona-Pandemie dort durch einen Unfall?

Das Institut für Virologie Wuhan - begann die Corona-Pandemie dort durch einen Unfall?

(Foto: REUTERS)

Der Ursprung der Corona-Pandemie ist nach wie vor ein Rätsel. Eine Gruppe von Forschern fordert nun in einem offenen Brief, der von verschiedenen internationalen Zeitungen - unter anderem der "New York Times" - veröffentlicht wurde, dass auch die Hypothese eines Laborunfalls gründlich untersucht werden sollte. Unter den Unterzeichnern ist auch der Deutsche Günter Theißen, Lehrstuhlinhaber für Genetik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Gespräch mit ntv.de erklärt er, wieso er Zweifel an der gängigen Ursprungs-These zu Sars-CoV-2 hat und was er von der umstrittenen Arbeit des Hamburger Forschers Roland Wiesendanger hält. Zudem verrät er seine Einschätzung, ob das Rätsel um die Herkunft des Virus jemals gelöst werden kann.

ntv.de: Herr Theißen, in einem offenen Brief fordern Sie zusammen mit zwei Dutzend weiterer Forscher aus aller Welt eine neue, umfassende Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV-2 - die auch die Möglichkeit eines Laborunfalls mit einschließt. Der Leiter der aktuellen WHO-Mission hatte einen Laborunfall als "extrem unwahrscheinlich" bezeichnet und wollte die Hypothese zunächst nicht weiter verfolgen. Aus Ihrer Sicht also ein Fehler?

Günter Theißen: Wenn es auch nur eine Restwahrscheinlichkeit gibt, die einen Laborunfall möglich erscheinen lässt, muss man das doch testen. Zumindest, um der Öffentlichkeit klar zu machen, dass vorurteilsfrei in alle Richtungen ermittelt wird. Und darum geht es uns bei dem offenen Brief. Wir wollen damit keine Vorurteile schüren, sondern einfach nur wissen, wie es war. Und da gibt es eben viele Möglichkeiten. Aber wir haben nicht den Eindruck, dass das derzeit wirklich vorurteilsfrei wie bei einem Kriminalfall in alle Richtungen ermittelt wird.

Seit Beginn der Pandemie stand ja vor allem die Zoonose-Hypothese im Fokus - also dass Sars-CoV-2 von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, auf einem Markt in der Stadt Wuhan oder woanders. Und das entweder direkt von einer Fledermaus oder einem anderen Tier als Zwischenwirt. Weshalb haben Sie Zweifel an dieser Theorie?

Wir haben viele Hinweise darauf, dass die Zoonose-Hypothese favorisiert wird, weil sie wahrscheinlich die politisch unverfänglichste ist. Denn dann hätte die Pandemie eine natürliche Ursache und es gäbe niemanden, der direkt oder indirekt verantwortlich wäre. Aber es gibt auch nach einem Jahr noch keine sichere Evidenz, dass Covid-19 eine Zoonose ist. Bisher ist es vor allem ein Analogie-Schluss: Beim Vorgänger, dem ursprünglichen Sars-Virus und auch beim Mers-Virus war es eine Zoonose, daher muss es nun auch wieder sein. Aber in der Naturwissenschaft wissen wir, solche Analogie-Schlüsse sind gefährlich.

Zudem gibt es bei Sars-CoV-2 eine ganze Reihe von Unterschieden zu den Vorgängern. Bei diesen nachgewiesenen Zoonosen hat man in Wildtieren Virussequenzen gefunden, die zu mehr als 99 Prozent identisch waren zu den viralen Sequenzen im Menschen. Das fehlt bei Sars-CoV-2. Die verwandtesten oder ähnlichsten Sequenzen, die man hat, sind gerade mal zu 96 Prozent ähnlich. Das mag zwar sehr viel erscheinen, bedeutet aber, wenn man eine normale molekulare Evolution zugrunde legt, dass der letzte gemeinsame Vorfahr zwischen dem Fledermaus-Virus und Sars-CoV-2 vor etwa 30 bis 50 Jahren existiert haben muss. Dann stellt sich natürlich die Frage: Was ist in den 30 bis 50 Jahren passiert?

Welche möglichen Erklärungen gibt es?

Da gibt es mehrere Hypothesen. Die eine besagt, das Virus war diese Zeit über in Tieren, ist aber nicht entdeckt worden und erst vor kurzem auf den Menschen übergesprungen. Das können wir nicht ausschließen. Es erscheint mir aber deshalb nicht wahrscheinlich, weil Sars-CoV-2, wie es jetzt im Menschen vorkommt, sehr gut an uns angepasst ist. Das Virus hat in der Rezeptor-Binde-Domäne Aminosäuren, die wunderbar an den ACE2-Rezeptor beim Menschen passen. Es gibt zudem eine Protease-Schnittstelle, wie man sie in den nah verwandten Fledermaus-Coronaviren nicht findet. Das ist ein bisschen viel auf einmal, was alles in einem Tier angeblich entstanden sein soll.

Es gibt aber noch eine alternative Hypothese, dass Sars-CoV-2 bereits 30 bis 50 Jahre im Menschen war und es vorher nur noch nicht gefunden wurde. Das erscheint mir momentan noch unwahrscheinlicher, weil derzeit intensiv nach Virensequenzen gesucht wird. Man kann davon Stammbäume für das Virus ableiten, die allerdings darauf hindeuten, dass der letzte gemeinsame Vorfahr aller Sars-CoV-2-Viren irgendwann im Herbst 2019 existiert haben muss. Es gibt also gar keinen Hinweis auf ältere Virensequenzen.

Und die müsste man auch mit Sicherheit finden?

Man kann natürlich nicht ausschließen, dass das Virus bereits früher in irgendwelchen Menschengruppen existiert hat, bei denen bisher keine Proben genommen worden sind, etwa bei isolierten Völkern. Aber es erscheint mir doch sehr unwahrscheinlich.

Könnte sich das Virus nicht auch auf natürlich Weise sprunghaft entwickelt haben?

Bei der "Gain-of-Function"-Forschung werden Viren im Labor künstlich verändert, um den Einfluss von Mutationen auf die Infektionswege zu ergründen. In der Wissenschaftsgemeinde ist diese Arbeit umstritten. Die eine Seite argumentiert, solche Versuche seien zu gefährlich und könnten Pandemien auslösen. Die andere Seite verweist darauf, dass die Veränderungen der Viren in der Natur ohnehin geschehen und man mit der Forschung das Verständnis vertiefen und so mögliche Pandemien stoppen könne.

Jetzt wird es interessant - durch eine natürliche Molekulare Evolution, die ja Teil meines Fachgebiets ist, würde ich so etwas ausschließen. Aber man kann so ein Virus im Labor erzeugen, wenn man will. Und genau das ist ja die Hypothese, die getestet werden sollte. Dass entsprechende "Gain-of-Function"-Untersuchungen stattgefunden haben, ist ja eine Tatsache.

Was hat bei Ihnen die Zweifel an der Zoonose-Hypothese geweckt?

Ich verfolge das Ganze seit einem Jahr mit großem Interesse, weil ich mich immer gefragt habe, warum man sich dessen eigentlich so sicher ist. Es hieß am Anfang, dass das Virus auf dem Markt in Wuhan auf den Menschen übergesprungen ist. Ich hatte mich dann eingelesen und festgestellt, dass die ganzen Experten für Coronaviren in China alle in Wuhan sitzen. Das hielt ich dann für einen sehr seltsamen Zufall. Diese Experten hatten sich zudem jahrelang mit Coronaviren beschäftigt, in Höhlen Proben gesammelt und diese nach Wuhan gebracht. Dort haben sie diese Viren auch genetisch verändert und in menschliche Zellen eingebracht, um zu sehen, wie diese sich darin verhalten. Da hört man doch irgendwann die Nachtigall trapsen.

Wenn Sars-CoV-2 tatsächlich im Labor in Wuhan entstanden ist - wie könnte es Ihrer Meinung nach freigesetzt worden sein?

Das ist schwer zu sagen, dafür müsste ich mehr über die Umstände vor Ort wissen. Etwa, wie die Sicherheitsbedingungen dort sind. Was ich mir aber leicht vorstellen kann, ist, dass durch Unachtsamkeit ein Mitarbeiter infiziert worden ist. Vielleicht ein junger Mensch, der das wochenlang oder vielleicht sogar nie gemerkt hat. Der ist vielleicht durch Wuhan gelaufen, war auf dem Markt einkaufen und hat dann andere Menschen infiziert. Da viele Infizierte keine Symptome haben, ist das ja kein unwahrscheinliches Szenario.

Sie fordern gemeinsam mit anderen Forschern nun eine neue, umfassende Untersuchung. Aber wie ist das vorstellbar? Schließlich hält die chinesische Regierung bereits jetzt Daten zurück, wie von verschiedenen Seiten bemängelt wurde - auch von Mitgliedern des WHO-Teams, das vor Ort war.

Wenn die chinesische Regierung das blockiert, und man kann sich fragen, wovor sie eigentlich Angst hat, dann wird es natürlich schwierig. Aber man weiß ja nie. Wir wollen erst einmal Menschen ermutigen, die vielleicht irgendwelches Wissen haben, sich zu offenbaren, wie etwa Whistleblower. Unser Minimalziel ist, klar zu machen, dass das, was die WHO-Mission präsentiert hat, unmöglich das letzte Wort sein kann. Es darf definitiv keine Absage an alternative Theorien jenseits der Zoonose geben.

Es soll also durch Whistleblower Druck auf China ausgeübt werden, sich doch noch weitergehenden Untersuchungen zu öffnen?

Das zum einen. Zum anderen soll auch ein Bewusstsein geschaffen werden, dass es nicht so ist, dass unter Forschern ein absoluter Konsens darüber besteht, dass es eine Zoonose war. Es hat ja immer wieder Menschen gegeben, die sich entsprechend geäußert hatten, die aber als Nicht-Experten oder Einzelmeinungen dargestellt wurden. Der Kreis derer, die sehr unzufrieden damit sind, wird jedoch größer. Ich habe ja auch als Einzelkämpfer angefangen, und jetzt sehe ich, wie viele Menschen auf der Welt das sehr ähnlich sehen.

Sie sprechen es an: Hierzulande war zuletzt der Hamburger Physiker Roland Wiesendanger mit einer Arbeit in die Kritik geraten, in der er einen Laborunfall als wahrscheinlichsten Ursprung von Sars-CoV-2 bezeichnete. Wie bewerten Sie das?

Sein Manuskript finde ich sehr gut. Vieles von dem habe ich mir genau so erarbeitet, nur nicht in so vielen Details. Allerdings war es aus meiner Sicht ein großer Fehler, das Ganze eine Studie zu nennen. Das war ein Kritikpunkt, an dem man ansetzen konnte. Doch man sollte sich lieber mit seinen Argumenten Punkt für Punkt auseinandersetzen und nicht mit Etiketten. Daher finde ich, dass Professor Wiesendanger, wie viele andere, in den Medien sehr schlecht behandelt worden ist.

Es wurde auch kritisiert, dass Professor Wiesendanger als Physiker fachfremd war ...

Das Fachfremd-Argument ist ein Totschlagargument. Wirklich innovative Dinge oder Dinge, die gegen den Strich gehen, sind in der Wissenschaft doch sehr oft von - in Anführungszeichen - Fachfremden gekommen. Mein eigenes Fachgebiet, die Molekularbiologie, ist im Prinzip von Physikern erfunden worden.

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Aus China kommt die Forderung, dass eine weitere Ursprungs-Theorie untersucht werden soll: Ob das Virus durch importierte, tiefgekühlte Nahrungsmittel ins Land gelangt sein könnte, also seinen Ursprung gar nicht in China selbst hat. Sollte dem Ihrer Meinung nach auch nachgegangen werden?

Selbstverständlich. Man sollte alle Hypothesen vorurteilsfrei testen. Rein theoretisch ist es nicht ausgeschlossen, dass das Virus nicht aus China kommt. Ich halte das zwar für unwahrscheinlich, aber man sollte auch unwahrscheinlichen Spuren nachgehen. Jedenfalls, solange der wahre Ursprung nicht bekannt ist.

Sie betonen in dem offenen Brief auch, dass die Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV-2 auch deshalb so wichtig ist, damit die Menschheit nicht unvorbereitet in die nächste, womöglich noch schlimmere Pandemie gerät. Glauben Sie denn, dass man das Rätsel des Ursprungs von Sars-CoV-2 jemals lösen wird?

Ich denke, die Wahrheit wird früher oder später ans Licht kommen. Es ist nur so, dass es lange dauern kann. Wenn entscheidende Menschen nicht kooperieren, dauert es vielleicht zu lange und wir haben schon die nächste Pandemie.

Mit Günter Theißen sprach Kai Stoppel

Quelle: ntv.de

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