Verteidigungsrede von Kay Strathus vor dem Amtsgericht in Düsseldorf

Wir wollen Ihren Krieg nicht!

Kay Strathus

Am Mittwoch vergangener Woche stand der Kriegsgegner Kay Strathus in Düsseldorf vor Gericht. Ihm wurde ein Verstoß gegen Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs (Billigung von Straftaten) vorgeworfen, weil er auf unterschiedliche völkerrechtliche Betrachtungsweisen auf das russische Handeln im Ukraine-Krieg hingewiesen hatte. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Wir dokumentieren an dieser Stelle seine Verteidigungsrede.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich gegen Ende meines Lebens noch einmal in einem politischen Prozess der Angeklagte sein würde. Auch hätte ich mir bis vor zwei Jahren nicht träumen lassen, dass man in Deutschland wieder für Standpunkte und Meinungsäußerungen strafrechtlich verfolgt wird, die von dem Narrativ abweichen, dass die Regierung über einen Krieg verbreitet, an dem sie selbst mittelbar beteiligt ist.

Ich will auf die Anklage der Staatsanwaltschaft eingehen und die darin enthaltenen Behauptungen, Unterstellungen, Widersprüche und Unwahrheiten richtigstellen. Anschließend möchte ich noch ein paar grundsätzliche Beobachtungen mitteilen und eine persönliche Bemerkung machen.

Zur Anklage

Die Staatsanwaltschaft will den Artikel 5 des Grundgesetzes (GG), der jedem das Recht gibt, seine Meinung frei zu äußern, aushebeln mit dem Verweis auf den Paragrafen 140 des Strafgesetzbuches. Diesen hat die Bundesregierung erst 2021 geändert und benutzt ihn heute dazu, Gegner des hybriden Krieges der NATO gegen Russland zu kriminalisieren, indem sie behauptet, die Militäroperation der Russischen Föderation in der Ukraine sei ein „Angriffskrieg“, der gegen das Völkerrecht verstoße.

Dies ist eine politisch motivierte Lesart des Konfliktes. Die NATO als Kurator und Sponsor des Kiewer Regimes benutzt sie, um ihre Rolle als Anstifter und Beteiligter an diesem Konflikt zu vertuschen – unter anderem damit, dass sie den Beginn des Konfliktes nach hinten verlegt. Russland wiederum bemüht sich seit Februar 2022, den Krieg, den Kiew 2014 gegen den Donbass begonnen hat, in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und den übernommenen Beistandspflichten zu beenden.

Wie steht es nun um das Völkerrecht? Artikel 2 Nummer 4 der UN-Charta verbietet den Gebrauch und die Androhung militärischer Gewalt. Die Ausnahme von der Regel steht in Artikel 51, der das „Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ definiert.

Es ist also durchaus möglich, die völkerrechtliche Bewertung differenziert und auch kontrovers zu diskutieren. Was in einem Land, das die Meinungsfreiheit als hohes Gut und Bürgerrecht in die eigene Verfassung geschrieben hat, jedoch NICHT geht: Die NATO-Lesart zu übernehmen, dogmatisch zu verkünden und eine Diskussion darüber zu „verbieten“, indem kontroverse Standpunkte bestraft werden.

Ich bestreite erstens jedem deutschen Gericht die Zuständigkeit und die Kompetenz, über völkerrechtliche Fragen zu entscheiden, zumal über solche grundsätzlichen und umstrittenen Fragen wie die von Krieg und Frieden.

Ich weise zweitens darauf hin, dass es – selbst wenn eine Mehrheitsmeinung unter Völkerrechtlern die russische Militäroperation als Verstoß gegen das Völkerrecht einschätzt – Völkerrechtler gibt, die dies anders sehen und mit demselben Völkerrecht begründen können. So beispielsweise der amerikanische Anwalt und Menschenrechtsverteidiger Daniel Kowalik, der an der University of Pittsburgh School of Law unterrichtet. Sein Fazit:

„(Es) besteht kein Zweifel, dass Russland von den USA, der Nato und ihren extremistischen Stellvertretern in der Ukraine auf ziemlich tiefgreifende Weise mit konkreten, destabilisierenden Bemühungen bedroht wurde. Russland ist seit vollen acht Jahren auf diese Weise bedroht. (…)

(Ich bin) der Meinung, dass dieses Recht (Artikel 51) im vorliegenden Fall zum Tragen kam und dass Russland das Recht hatte, zu seiner eigenen Selbstverteidigung zu handeln, indem es in der Ukraine intervenierte, die ihrerseits zu einem Stellvertreter der USA und der Nato geworden war, für einen Angriff – nicht nur auf russische Ethnien in der Ukraine, sondern auch auf Russland selbst.“

Drittens habe ich als juristischer Laie in einer geschlossenen Facebook-Gruppe Einschätzungen von Experten wiedergegeben, womit ich auf keinen Fall irgendeine „Störung des öffentlichen Friedens“ verursacht haben kann – selbst wenn die Unterstellung der Staatsanwaltschaft, die russische Militäroperation würde gegen das Völkerrecht verstoßen, zuträfe. Es ist die Anklage der Staatsanwaltschaft und die Politik der Bundesregierung, auf der diese Anklage beruht, es ist die Sanktionierung abweichender Meinungen, die den öffentlichen Frieden stört – nicht aber meine Ausübung des in Artikel 5 GG garantierten Rechtes auf freie Meinungsäußerung.

Die Behauptungen der Anklage im Einzelnen:

1. „Die ‚Facebook‘-Gruppe hatte mehr als 1.000 Mitglieder, was Ihnen bewusst war.“

Nein, weder war es mir bewusst, noch hat es mich interessiert. Wo fängt Öffentlichkeit an, wo hört sie auf? Wer legt das fest? Und wer stellt eine „Störung des öffentlichen Friedens“ fest? Diese Begriffe und Definitionen sind so offensichtlich willkürlich wie die Verfolgung und Bestrafung von Meinungsäußerungen in einer wie auch immer gearteten „Öffentlichkeit“ politisch motiviert ist.

2. „Sie wussten ebenfalls, dass der vorgenannte Krieg Russlands ein Verbrechen der Aggression nach Paragraph 13 des Völkerstrafgesetzbuchs darstellt.“

Erstens enthält dieser Vorwurf eine Unterstellung, die die politische Einschätzung einer Kriegspartei ist, aber keine faktische Aussage: dass nämlich die russische Militäroperation in der Ukraine „der Krieg Russlands“ wäre. Inzwischen räumen sogar NATO-freundliche Medien und westliche Politiker ein, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland handelt, bei dem bis auf die ukrainischen Soldaten ausnahmslos alles an Kriegsmaterial, Logistik, Munition, Ausrüstung, Panzer, Kampfflugzeuge, Geschossen vom Westen bereitgestellt wird.

Ob das russische Vorgehen eine Aggression nach Paragraph 13 des Völkerrechts darstellt, ist durchaus umstritten. Es gibt nämlich keine endgültige Übereinstimmung von Völkerrechtsexperten über die Bewertung der russischen Militäroperation in der Ukraine, sondern – wie oben ausgeführt – divergierende Einschätzungen. Wie bei allen Streitfragen des Internationalen Rechts gibt es keine übergeordnete Instanz und kann es keine geben, die im Sinne eines Schiedsrichters die Regeln definiert. Die Regeln sind den Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnissen der staatlichen Akteure unterworfen. Hier steht Aussage gegen Aussage, Einschätzung gegen Einschätzung.

Der Kollektive Westen, der 2014 mit dem Staatsstreich in der Ukraine das begann, was er dann in den Folgejahren umgesetzt hat – die Ukraine zu einem hochgerüsteten anti-russischen Vorposten und Aufmarschgebiet gegen Russland zu machen – sieht selbstverständlich den Verstoß gegen das Völkerrecht nur bei Russland. Die eigenen Militäroperationen in Jugoslawien, in Afghanistan, in Libyen, in Syrien und so weiter werden dagegen als gerechtfertigt betrachtet, selbst wenn sie im Nachhinein, wie von Altkanzler Schröder, als Völkerrechtsverstöße zugegeben werden. Umgekehrt sieht die Russische Föderation das Völkerrecht auf ihrer Seite, da sie mit einer konkreten, nachweislichen Gefahr für die russischsprachige Bevölkerung im Donbass konfrontiert war und ein Hilfeersuchen der Regierungen der beiden Volksrepubliken vorlag.

Zweitens konnte ich es gar nicht wissen, weil ich juristischer Laie bin. Keine staatliche Instanz kann von mir erwarten, mich mit Feinheiten des Internationalen Rechts auszukennen.

Exkurs zum politischen Hintergrund

Ich möchte eine Bemerkung machen über den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund dieser und ähnlicher Anklagen, dieses und ähnlicher Prozesse.

Die Absicht hinter Strafverfahren wie diesem, hinter Gesetzesänderung wie denen der Paragraphen 130 und 140 StGB und anderer ist die Einschüchterung und Bestrafung abweichender Standpunkte. Ruhe an der Heimatfront wird benötigt, um die Kriegs- und Verarmungspolitik der Regierung möglichst ungestört umsetzen zu können.

Die NATO – und damit die Bundesrepublik Deutschland – führt Krieg, beziehungsweise lässt Krieg führen. Deutschland finanziert als zweitgrößter Sponsor nach den USA das nationalistische Kiewer Regime. Die NATO stellt der Ukraine Waffen, Munition, Logistik und Geheimdienstwissen zur Verfügung, damit diese den Stellvertreterkrieg gegen Russland führen kann. Die ukrainische Armee wurde vom Westen seit 2015 zur bestausgestatteten und größten Armee Europas außerhalb Russlands aufgerüstet, um Russland „einzudämmen“ und um letztlich in einem Krieg gegen Russland nicht nur bestehen, sondern siegen zu können. Ex-Kanzlerin Merkel sowie die Ex-Präsidenten Poroschenko (Ukraine) und Hollande (Frankreich) haben alle inzwischen zugegeben, dass dies die Absicht der NATO war und dass die völkerrechtlich bindenden Minsker Abkommen nur abgeschlossen wurden, um Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen. Russland wurde absichtlich belogen über die Pläne der NATO, an seiner Westgrenze ein feindliches Aufmarschgebiet zu installieren.
Deutschland macht sich damit mitschuldig am hunderttausendfachen Tod ukrainischer Soldaten in einem Krieg, der nicht gewinnbar ist und der ohne die Einmischung der NATO-Staaten schon im Mai 2022 vorbei gewesen wäre. Deutschland unterstützt und bewaffnet ein mörderisches neonazistisches Regime, dessen Nationalhelden Nazi-Kollaborateure und Kriegsverbrecher wie Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch sind; ein Regime, das seit 2015 einen Bürgerkrieg gegen die Bevölkerung des Donbass führt und das innerhalb der Ukraine – des korruptesten Landes Europas, wenn nicht der Welt – nahezu alle demokratischen Rechte für die Bevölkerung abgeschafft hat.

Im Rahmen dieses Krieges hat die Bundesrepublik durch den illegalen Sanktionskrieg gegen Russland den eigenen Standort zum Teil deindustrialisiert und die Bevölkerung verarmt. Aufrüstung, Krieg und sogenannte Ukraine-Hilfen werden finanziert durch immer weitere Kürzungen bei sozialen Leistungen, bei Bildung, Gesundheitswesen und öffentlicher Infrastruktur. Keine Regierung seit 1949 gilt in der Bevölkerung als so inkompetent und ist so unbeliebt wie die Ampel-Koalition.

Ich werde hier nicht als Einzelperson angeklagt, sondern stellvertretend für alle, die sich gegen den derzeitigen Kriegs-, Verarmungs- und Deindustrialisierungskurs der Bundesregierung aussprechen. Vor allem aber stellvertretend für alle, die die aberwitzige anti-russische Hysterie hierzulande als das erkennen und benennen, was sie ist: die Rechtfertigung für die maßlose Aufrüstung, für die Umverteilung von Hunderten von Milliarden Euro aus den Taschen der Bürger in die Kassen der Rüstungskonzerne, für die politisch-militärische ideologische Gleichschaltung des Landes, mit der nach achtzig Jahren erneut zum Krieg gegen Russland gerüstet wird und die deutsche Gesellschaft nach dem Willen der Bundesregierung wieder „kriegstüchtig“ gemacht werden soll.

Ich bin beileibe nicht der Einzige, der auf diese Weise für die falsche Meinung bestraft werden soll: unter anderem erhielt kürzlich der frühere Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss für ein Posting über die jetzt wieder russische Krim auf X (früher Twitter) einen in Strafbetrag und Wortlaut weitgehend identischen Strafbefehl. Die flächendeckende Verfolgung abweichender Meinungen scheint mittlerweile so sehr „Tagesgeschäft“ der Staatsanwaltschaften zu sein, dass man stets die gleichen Satzbausteine und Worthülsen benutzt.

Ein Wort an die Staatsanwaltschaft

Sie können mich stellvertretend für all die Gegner der Kriegspolitik von NATO und Bundesregierung anklagen, die diese für Deutschland und Europa desaströsen Politik kritisieren. Dann möchte ich umgekehrt Ihnen, ebenfalls stellvertretend für alle, die Sie mit dieser Anklage einschüchtern wollen, entgegnen:

Wir weisen die Beleidigung unserer Intelligenz zurück, mit der so getan wird, als hätte Russland aus heiterem Himmel, anlasslos, die Ukraine überfallen und als wäre dort nicht vor fast zehn Jahren ein neonazistisches Regime installiert worden, dass seitdem unter Anleitung der NATO die Ukraine in einen militärischen Rammbock gegen Russland umwandelt und die eigene russischsprachige Bevölkerung diskriminiert, terrorisiert und seit 2015 militärisch bekämpft.

Wir lehnen die Zensurgesetze der Bundesregierung ab, mit der abweichende Standpunkte und Kritik am Kriegskurs kriminalisiert und sanktioniert werden.

Wir verurteilen den selbstmörderischen Sanktionskrieg, dessen einzige Folge eine Verteuerung des Lebens und die Verschärfung der Lebensumstände in Deutschland ist.

Wir lehnen eine Regierung ab, die sich im Auftrag der Vormacht am hybriden Krieg gegen Russland beteiligt und sich von derselben Vormacht lebenswichtige Energieversorgungs-Pipelines wegsprengen lässt – und dazu schweigt sowie keinerlei Interesse an einer wirklichen Aufklärung zeigt.

Kurzum: Wir wollen Ihren Krieg nicht, wir wollen Frieden und Freundschaft mit Russland!

Abschließend eine persönliche Bemerkung

Kaum etwas hat in meiner Kindheit mehr Eindruck auf mich gemacht als die Berichte meines Großvaters mütterlicherseits über den Faschismus in Deutschland. Mein Großvater war als SPD-Mitglied im antifaschistischen Widerstand in Hamburg tätig. Seine Schilderungen aus dieser Zeit haben mich beeindruckt und geprägt. Sie haben mich früh zum Antifaschisten gemacht. „Wir hatten keinen leichten Stand“, erzählte mein Großvater, „die meisten Leute wollten nur ihr Leben leben und in Ruhe gelassen werden. Auf unseren Flugblättern stand ‚Wer Hitler wählt, wählt den Krieg‘ und ‚Krieg gegen Russland wird Deutschland in den Abgrund führen‘“. Für derlei Aktivitäten landete er in Gestapo-Haft und anschließend im Strafbatallion 999.

Es mir fern liegt, mich mit meinem Großvater zu vergleichen; auch ist die heutige Bundesrepublik vorerst noch ein gutes Stück von der Rechtsprechung des Dritten Reiches entfernt. Aber ich sehe mich in dieser Sache in bester Familientradition. Ich weise die Anklage der Staatsanwaltschaft als politisch motivierte Einschränkung der Meinungsfreiheit zurück und weigere mich, für meine in einer geschlossenen Facebook-Gruppe zum Ausdruck gebrachten Standpunkte Strafe zu bezahlen. Abgesehen davon könnte ich es auch gar nicht als Bezieher einer 515-Euro-Armutsrente.

Heute wird man für angebliche pro-russische Äußerungen nicht mehr in irgendwelche Folterkeller oder Lager gesperrt (jedenfalls nicht in Deutschland – in der Ukraine schon), sondern bekommt 3.500 Euro Geldstrafe für abweichende Meinungsäußerung aufgebrummt. Meinen Standpunkt zum Krieg in der Ukraine wird das nicht ändern, aber es wird vielleicht abschreckend auf andere Inhaber abweichender Meinungen wirken. Das ist das Kalkül der Urheber und Exekutoren solcher Gesetze.

Ich appelliere an das Gericht, die Unabhängigkeit der Justiz zu bewahren, sich nicht zum politischen Erfüllungsgehilfen des derzeitigen Regierungskurses zu machen und den Angriff von Regierung und Staatsanwaltschaft auf das Recht zur freien Meinungsäußerung abzuwehren.

Verschaffen Sie bitte dem Artikel 5 GG auch im vorliegenden Fall Geltung.

Danke.

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