Tümpeltown – nur eine weitere Räumung einer Besetzung?

First things first: Ob wir hier geräumt werden, wird sich erst noch zeigen! Widerstandslos werden wir hier nicht abziehen, wenn die fossilen Ausbaupläne nicht gestoppt werden!

Aber: Wir haben die Räumungen von Heibo, Fecher, Lützi und so vielen andere Besetzungen erlebt. Was bedeutet eine mögliche Räumung für uns in Tümpeltown und für uns als Bewegung überhaupt?

Die Geräusche der Zerstörung der Harvester, die prügelnden Cops, die Kälte des Winters, die GeSa-Zellen und Repressionen – all das kennen wir. Aber was bedeutet das? Bauen wir Utopien auf um sie dann vom Staat zerstören zu lassen? Was erreichen wir mit diesem Protest und der Protestform (Wald-)Besetzung überhaupt? Oder kurz gesagt: Lohnt es sich? Lohnt es sich all die Zeit, Kraft und Liebe in solche Projekte zu stecken und dabei noch die eigene Gesundheit und Freiheit aufs Spiel zu setzen?

Die meisten Besetzungen werden früher oder später geräumt. Ist das als Scheitern zu begreifen? Manche Menschen sprechen von einem „produktivem Scheitern“ der linken Bewegung im Allgemeinen. Dabei wird das eigentliche Ziel nicht erreicht, aber dafür zumindest ein Teilgewinn erzielt. Da wird als ein Beispiel das Frauenwahlrecht aufgeführt. Der Protest, der dem voraus ging, strebte weitaus mehr an als ein Wahlrecht – es ging um das Ende des tödlichen Patriarchats, wofür wir nach wie vor kämpfen. In unserem Kontext hier könnte „produktives Scheitern“ zum Beispiel so aussehen, dass die Zerstörung der Leinemasch und der Ausbau des Südschnellwegs wie geplant durchgeprügelt werden und dafür aber der Westschnellweg, der aktuell als nächstes dran sein soll, doch nicht ausgebaut wird. Klar, „produktives Scheitern“ ist besser als reines Scheitern, aber dabei sollten wir in meinen Augen nie vergessen, dass Teilzugeständnisse seit jeher dem fossilen System als Mittel dienen um Protest zu befrieden, zu assimilieren, zu spalten und somit zu entschärfen, sodass es, wie gehabt, fortbesteht.

Ich aber gehe nicht für Teilerfolge auf die Straße beziehungsweise in die Bäume. Ich kämpfe hier für eine von Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Herschaft, Rassismus und etwaiger Diskriminierung befreite und solidarische Gesellschaft. Die Leinemasch für eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende zu verteidigen ist daher eine logische Konsequenz für mich. „Hast du den Kopf in den Wolken? Bleib doch mal realistisch!“ sagt mir da eine Stimme in meinem Kopf bei diesem zweifelsfrei hoch gestecktem Ziel. Ich aber bin davon überzeugt, dass Aktivismus weder sinnvoll noch nachhaltig sein kann, wenn er reformistisch statt revolutionär und intersektional ist. Wir brauchen keine sympotomatische Behandlung der Gesamtscheiße bzw. Reformismus des Systems. Damit brennen wir uns bloß aus. Wir müssen dieses System mit all seinen oben genannten Bausteinen einreißen und gemeinsam etwas neues aufbauen. Nur so kann das gute Leben für alle möglich werden. Der Kampf für eine befreite und solidarische Gesellschaft hat unzählige Schauplätze. Meiner ist die die Leinemasch.

Bei solch großen und komplexen Zielen ist es schwer Erfolge des Protests zu erkennen. Wir sind als Bewegung unfassbar schlecht darin eigene Erfolge anzuerkennen und zu feiern. Wie wenige kennen beispielsweise den Erfolg der Besetzung Acker Bleibt? Das gilt auch für die vielen kleinen Erfolge, da sie oft gar nicht erkennbar, aber vorhanden sind. Hat mein Kletterskillshare vielleicht zur Politisierung der Teilnehmenden beigetragen? Die Erfahrungen, die Skills und das Wissen, was wir in solchen Besetzungen erlangen sind solche Erfolge – Erfolge, die uns kein Cop der Welt mehr nehmen kann.

Im Endeffekt ist es eine Gratwanderung zwischen Erfolge anerkennen und feiern und sich gleichzeitig dabei aber auch nicht selbst zu belügen und das Ziel Systemchange nicht aus den Augen zu verlieren. Was wir mit Besetzungen wie Tümpeltown im Detail erreichen, wissen wir naturgemäß erst hinterher.

Sollte Tümpeltown fallen und die Leinemasch zerstört werden, wäre das ein Befeuern der Klimakrise, ein weiterer Angriff auf Biodiverisität und Umwelt, das Gegenteil einer sozial- und klimagerechten Mobilitätswende oder kurz gesagt ein derber Schlag ins Gesicht unserer Mitmenschen im Globalen Süden sowie kommender und junger Generationen überall.

Neben einem solchen fossilen Weiter-so, würde damit aber auch ein Freiraum, ein Zuhause und ein Ort der Bildung zerstört werden. Gewalt, Repressionen, Verletzungen und Trauma sind nicht selten die Folge von Räumungen. Unsere Bewegung wäre ohne Tümpeltown um einen widerständigen Ort ärmer.

Lohnen sich Waldbesetzungen also oder nicht? Stehen mögliche Erfolge und mögliche negative Konsequenzen in einem gescheiten Verhältnis zueinander? Auch hier gibt es nicht die eine Antwort. Das muss jede*r individuell für sich selbst beantworten, da es ja auch unterschiedlich ist, mit was für einer Zielsetzung mensch Teil der Besetzung ist.

Meine persönliche Antwort ist ganz klar: Waldbesetzungen lohnen sich. Klar lief und läuft hier längst nicht alles so, wie wir es uns wünschen, aber ganz gleich, wie es mit Tümpeltown ausgehen mag, wir haben schon so unfassbar viel erreicht! Wir haben weitaus mehr als Aufmerksamkeit und politische Diskurse erreicht. Eigentlich sollte Tümpeltown bereits in vergangenen Rodungssaison geräumt und zerstört werden, aber unser Protest konnte dies verhindern. Wir haben gezeigt, dass Widerstand Erfolg haben kann – auch wenn er gewaltfrei ist. Wir haben über das vergangene Jahr hinweg mehr als ein Ort des Widerstands geschaffen. Wir haben hier in Hannover einen offenen Freiraum aus dem Nichts geschaffen, einen Ort, wo wir ein hierarchiefreies Leben abseits der Mehrheitsgesellschaft erproben, ein Zuhause, ein Ort für Skillshares, Bildung und Selbstreflexion, ein Ort der Vernetzung und auch ein Ort für geselliges Beisammensein. Wir haben uns und andere politisiert und Skills zur entsprechenden Selbstermächtigung an die Hand gegeben und so vieles mehr… All das sind Erfolge, die uns keine*r mehr nehmen kann!

Ganz gleich wie die Geschichte von Tümpeltown weiter geht, wir werden weitermachen! Wir machen nicht nur weiter, weil wir die Verantwortung, der sich Politik & Wirtschaft verweigern, tragen. Wir machen weiter, weil wir im Gegensatz zu dem fossilen System eine Perspektive kennen, für die wir kämpfen werden!

Das Ende ist offen. Also lasst uns kämpfen! Leinemasch bleibt!

[Anmerkung: Dieser Text wurde am 06.10.2023 verfasst und stellt die Sicht einer Einzelperson dar und spricht somit nicht für alle in Tümpeltown.]