Erwartungen des Zentralrats an den Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Sitzung des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Sitzung des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt ausdrücklich Ihre Initiative zur Einrichtung eines Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus und den geplanten Austausch mit  der Zivilgesellschaft. Das Thema zur Chefinnensache zu machen und damit auf die höchste politische Ebene zu heben, zeugt von Verantwortungsbewusstsein für unser Land und seine Bürgerinnen und Bürger, vor allem all jenen die alltäglich von Rassismus betroffen sind. Es ist absolut notwendig in diesem Prozess die Expertise und Erfahrungen von Rassismus Betroffenen Bevölkerungsgruppen einzubeziehen.

In den letzten Jahren sehen wir mit Erschrecken die Ausmaße eines mörderischen Rechtsterrorismus. In Hanau wurden zuletzt neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet, unter den Opfern waren auch drei Angehörige unserer Minderheit. Die Trauer um die Toten schmerzt und lässt Sinti und Roma in Angst um ihre Sicherheit zurück. Doch es sind nicht nur die mörderischen Anschläge, die der Minderheit Sorge bereiten. Der politische Diskurs verschiebt sich immer mehr nach rechts, unsere Minderheit erfährt Ausgrenzung und alltäglich Rassismus und es wird immer noch in Frage gestellt das wir gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger dieses unseres Landes sind.

Gemeinsam müssen wir die Auseinandersetzung darüber führen wie der Rassismus in unserem Rechtsstaat bekämpft werden kann. Denn er ist das Gift, das unsere Gesellschaft und seine demokratischen Werte zersetzt. Bevölkerungsumfragen wie die Leipziger Autoritarismus-Studie (2018) zeigen das erschreckende Ausmaß des Antiziganismus in Deutschland: bis zu 60% der Deutschen stimmten darin antiziganistischen Aussagen zu. Sinti und Roma sind – neben asylsuchenden Menschen – in Deutschland mit am meisten Aggressionen ausgesetzt. Dabei bedroht der tief verwurzelte und breit akzeptierte Antiziganismus nicht nur unmittelbar die Angehörigen der Minderheit, sondern er gefährdet auch zunehmend den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt. Auch die Leipziger Studie kommt zu dem Schluss, dass der massive Antiziganismus oft aus dem Blick gerät. 

Im vergangenen Jahr wurde erstmalig im deutschen Bundestag ein Entschließungsantrag zur Bekämpfung von Antiziganismus mehrheitlich angenommen und eine unabhängige Kommission Antiziganismus eingesetzt.

Im Antrag heißt es:

„Deutschland trägt vor dem Hintergrund des lange Zeit ignorierten Völkermords, der systematischen Entrechtung, Erniedrigung, Deportation und Ermordung von hunderttausenden Sinti und Roma im von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges besetzten Europa eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den Antiziganismus. […] Der Deutsche Bundestag ist dankbar, dass Sinti und Roma Deutschland nach 1945 nicht den Rücken gekehrt haben.“

Aus dieser Verantwortung leitet sich auch die Verpflichtung der Bundesregierung ab „jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma und dem Antiziganismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen zu begegnen. Aufgabe der Bundesregierung ist es, die Minderheiten zu schützen und zu fördern sowie ihrer Diskriminierung und Ausgrenzung entgegenzutreten“ und „Antiziganismus auf europäischer Ebene entschieden zu ächten.“

Vor diesem Hintergrund richtet sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma an den Kabinettsausschuss mit den beigefügten Erwartungen und Anforderungen an den Kabinettsausschuss. 


Erwartungen an die Arbeit des Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus

  1. Das Themenfeld Rassismus darf nicht auf die Kontexte von Rechtsextremismus und Migration beschränkt diskutiert werden. Es bedarf eines klaren Verständnis davon, dass Rassismus ein Alltagsproblem ist, das sich sowohl in individuellen als auch institutionellen Handeln widerspiegelt. Rassismus darf weder auf ein Phänomen am rechten Rand noch auf Zugewanderte und Menschen mit Migrationsgeschichte verkürzt werden, sondern muss als gesamtgesellschaftliches Problem verstanden werden, von dem auch zahlreiche deutsche Staatsbürger betroffen sind die keinen Migrationshintergrund haben. Rassismus ist kein Synonym für Ausländerfeindlichkeit.
  2. Angestrebt wird ein wirksames Maßnahmenpaket mit klaren und überprüfbaren Zielen. Im Sinne eines „lernenden Konzepts“ muss es regelmäßig gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft auf seine Wirksamkeit geprüft und weiterentwickelt werden.
  3. Bisherige Maßnahmenpakete im Bereich Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität u.a. sind nicht oder nicht ausreichend mit Finanzen ausgestattet worden. Die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe für Bund und Länder muss mit ausreichenden und festen Haushaltsmitteln ausgestattet sein.

Forderungen des Zentralrats entlang der Handlungsfelder des Kabinettausschuss

  1. Stärkeres Bewusstsein für Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen schaffen sowie verbesserte staatliche Strukturen im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus; Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden, Justiz, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern sowie Verbesserung der empirischen Grundlagen;
  • Die Annahme einer Arbeitsdefinition Antiziganismus für staatliche Strukturen auf Bundes- und Länderebene;
  • Die Einsetzung eines Antiziganismus-Beauftragten mit entsprechendem Arbeitsstab und Budget auf Bundes- und Länderebene;
  • Die Einrichtung und Förderung einer zivilgesellschaftlichen bundesweiten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus für antiziganistische Vorfälle oberhalb und unterhalb der Strafbarkeitsschwelle;
  • Der Ausbau der Forschung und Forschungsförderung zu Antiziganismus, Verankerung als Querschnittsthema in Forschungsförderung zu Rassismus, Rechtsextremismus, Migration, Vielfalt, Demokratie und weiteren gesellschaftspolitischen Themenbereichen;
  • Die Durchführung einer umfassenden eigenständigen Studie zu Racial Profiling, bei der neben verdachtsunabhängigen Kontrollen auch die polizeiliche Ermittlungsarbeit einer kritischen Überprüfung unterzogen wird.
  • Das Thema Antiziganismus muss verpflichtend in die Arbeit der Landesdemokratiezentren und Partnerschaften für Demokratie verankert werden (die Auseinandersetzung mit Antiziganismus ist ein wichtiges Thema, vor allem in strukturschwachen Regionen).
  1. Prävention gegen Rechtsextremismus und Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Regelstrukturen aller gesellschaftlichen Bereiche ausbauen und stärken, auch im Netz; Weiterentwicklung der politischen Bildung und Demokratiearbeit;
  • Antiziganismus-kritische Bildung in Aus- und Fortbildung für Berufsgruppen des öffentlichen Lebens muss verankert und gefördert, insbesondere in Polizei, Justiz, Schulwesen, Sozialarbeit, Jugendamt, Verwaltung, Medien, Gesundheitswesen, Berufskammern, Wohnungsbaugesellschaften
  • Die (Verfolgungs-)Geschichte, Kultur und Diversität der Sinti und Roma sowie Antiziganismus muss im Lehrplan verbindlich verankert und in Schulbüchern sowie Bildungsmaterialien fächerübergreifend inklusiv und Antiziganismus kritisch umgesetzt werden.
  • Die Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes und die Reformierung des Gemeinnützigkeitsrechts, um zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und für Demokratie auf feste Füße zu stellen und eine bundegesetzliche Grundlage zu geben.
  1. Ausbau der Unterstützung von Betroffenen von rassistischer Diskriminierung und sozialem Umfeld; wirksamer Opferschutz und Verbesserung von nachhaltigen Strukturen der Rassismusbekämpfung;
  • Allzu oft kennen die Opfer von Straftaten ihre Rechte nicht oder scheuen aus Angst vor dem Täter davor zurück, die Straftat anzuzeigen. Zuweilen sind es negative Erfahrungen mit staatlichen Organen in der der Vergangenheit, die Opfer davon abhalten, sich an die Polizei zu wenden. Deswegen ist es notwendig, zielgruppenspezifisch, insbesondere mit Blick auf Opfer von Hasskriminalität, eine Informationskampagne von Bund und Ländern zu unternehmen, mit der auf Opferrechte aufmerksam gemacht wird. Alle Polizeidienststellen sollten Online und Offline mehrsprachig auf alle relevanten Aspekte des Opferschutzes aufmerksam machen.
  • Der Auf- und Ausbau von Opferberatungsstellen von Selbstorganisationen, die sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Opfergruppen orientieren ist zwingend erforderlich. Diese müssen über die Projektförderung hinaus auf eine strukturell angelegte Finanzierungsbasis gestellt werden.
  • Unabhängige Beschwerdestellen mit ausreichendem Handlungsmandat im Bereich Bildung, Verwaltung und Polizei müssen eingerichtet werden, um Fälle von rassistischer Diskriminierung und Rechtsextremismus im öffentlichen Sektor wirksam entgegenzuwirken.
  • Die Schaffung wirksamer und umfassender Rechtshilfefonds ist unabdingbar, um Betroffenen den Zugang zu Rechtsmitteln zu ermöglichen. Dazu zählt insbesondere die finanzielle Unterstützung für einen Rechtsbeistand.
  • Der Zugang der Opfer zu einer Entschädigung ist nach wie vor zu kompliziert. So sind etwa Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz für die Betroffenen ohne anwaltlichen Beistand nicht zugänglich. Hier bedarf es einer Erleichterung der Antragsverfahren.
  • Die Reformierung des AGG ist zwingend notwendig, ebenso wie die Verabschiedung von Landesantidiskriminierungsgesetzen, dabei muss der öffentliche Sektor mit abgedeckt werden, da gerade im Zusammentreffen mit öffentlichen Stellen Diskriminierung und Ungleichbehandlung stattfinden. Zudem bedarf es ein Verbandsklagerecht und Prozessstandschaft um Betroffene wirksam zu unterstützen. Zudem müssen Antidiskriminierungsstellen auf Bundes- und Länderebene finanziell und personell gestärkt werden und ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen und Landesantidiskriminierungsstellen etablieren werden, dass auf gesetzlichen Grundlagen steht.
  1. Anerkennung und Wertschätzung einer vielfältigen und chancengerechten Gesellschaft und Stärkung gleicher Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
  • Ein Staatsvertrag auf Bundesebene mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zum Ausbau und vertiefenden Förderung der Strukturen der Minderheit ist notwendig, um die wichtige Arbeit im Bereich der Bekämpfung von Antiziganismus, der Förderung von politischer und kultureller Teilhabe und Bildung gerecht zu werden.
  • Die finanzielle und strukturelle Förderung von Facheinrichtungen der Selbstorganisationen muss einen höheren Stellenwert einnehmen als bisher, um Sinti und Roma als gleichberechtige Mitglieder unserer Gesellschaft zu befähigen ihre Rechte wahrzunehmen.
  • Um die gleichberechtigte Teilhabe zu gewährleisten muss es gesetzliche Grundlagen geben für Partizipation. Deshalb bedarf es eines Bundespartizipations- und Teilhabegesetz sowie einer Reform des Bundesgremienbesetzungsgesetzes um die Teilhabe von Minderheiten und migrantischen Gruppen im öffentlichen Leben auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene zu erhöhen.

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